BGH, Beschluss vom 24.01.2018 – XII ZB 292/17
Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung des Betreuten erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 2. Juni 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Zivilkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 2 begehrt die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene.
Der Beteiligte zu 2 und die Betroffene sind geschiedene Eheleute. Zwischen beiden ist seit 2007 ein Zugewinnausgleichsverfahren anhängig. Nachdem Zweifel an der Prozessfähigkeit der Betroffenen aufgekommen waren, bestellte das Amtsgericht ihr auf Antrag des – in jenem Verfahren als Kläger handelnden – Beteiligten zu 2 einen Prozesspfleger gemäß § 57 ZPO.
Der Beteiligte zu 2 hat beim Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers mit dem Wirkungskreis angeregt, die Betroffene in dem Zugewinnausgleichsverfahren zu vertreten. Das Amtsgericht hat das Betreuungsverfahren eingestellt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 2 zurückgewiesen. Auf die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hat der Senat die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2016 – XII ZB 603/15 – FamRZ 2016, 1663). Dieses hat die Beschwerde nach Anhörung der Betroffenen neuerlich zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 2 mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Zivilkammer des Landgerichts.
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2 ist zulässig (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss vom 29. Juni 2016 – XII ZB 603/15 – FamRZ 2016, 1663 Rn. 6 f. mwN) und begründet.
1. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen zur Einrichtung einer Betreuung nicht festgestellt werden könnten. Aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Betroffenen stehe gerade nicht fest, dass die Voraussetzungen für eine Betreuung erfüllt seien. Lediglich das ständige Wiederholen von Schlagworten und das hektische Kritzeln auf ihrem Notizblock zur Unterstreichung der von ihr betonten Fähigkeit, ihre Rechte selbst wahrzunehmen und gegen eine sie belastende Entscheidung der Beschwerdekammer vorzugehen, ließen in Verbindung mit den zur Verfahrensakte gelangten handschriftlichen Äußerungen der Betroffenen einen Zweifel an ihrer vollständigen psychischen Gesundheit aufkommen, weshalb zur Frage des Vorliegens einer – die freie Willensbildung ausschließenden – psychischen Erkrankung ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben worden sei. Auch der Sachverständige habe aus den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass die Betroffene tatsächlich psychisch krank sei. Ihm sei es nicht gelungen, eine persönliche Untersuchung vorzunehmen, da die Betroffene sich nicht habe explorieren lassen. Eine solche persönliche Untersuchung sei jedoch nach den sachverständigen Ausführungen unumgänglich, um eine tragfähige Diagnose zum derzeitigen Gesundheitszustand der Betroffenen stellen zu können. Es sei indes nicht geboten, die Betroffene unter Anwendung von Zwang zur Begutachtung vorführen oder gar unterbringen zu lassen, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die betreuungsrechtlichen Maßnahmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in Betracht kämen.
2. Das hält der Aufklärungsrüge der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das Landgericht hat seiner Pflicht zur Amtsermittlung nach § 26 FamFG nicht hinreichend Rechnung getragen.
a) Wie der Senat bereits in seiner ersten Entscheidung in dieser Sache ausgeführt hat, bestimmt sich nach § 26 FamFG, in welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dabei muss dem erkennenden Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensordnung für geeignet hält, um zu der für eine Entscheidung notwendigen Erkenntnis zu gelangen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2016 – XII ZB 603/15 – FamRZ 2016, 1663 Rn. 15 mwN).
§ 280 Abs. 1 FamFG verpflichtet das Gericht nur dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich. Das Gericht hat daher vor der Anordnung der Gutachtenerstattung im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter betreiben will. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt (Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2016 – XII ZB 603/15 – FamRZ 2016, 1663 Rn. 18 mwN).
Gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG hat der Sachverständige den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar. Die Verwertbarkeit des Gutachtens hängt zwar im Ergebnis nicht davon ab, dass ein verbaler Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Sachverständigen hergestellt werden kann. Kann der Sachverständige seine Erkenntnisse jedoch nicht aus einer Befragung des Betroffenen schöpfen, setzt das Gesetz eine Untersuchung des Betroffenen zwingend voraus. Diese erfordert zumindest, dass sich der Sachverständige einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschafft (Senatsbeschluss vom 10. Mai 2017 – XII ZB 536/16 – FamRZ 2017, 1324 Rn. 10 mwN).
Die Weigerung des Betroffenen, einen Kontakt mit dem Sachverständigen zuzulassen, ist kein hinreichender Grund, von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen abzusehen (Senatsbeschluss vom 20. August 2014 – XII ZB 179/14 – FamRZ 2014, 1917 Rn. 11 mwN). Liegen hinreichende Anhaltspunkte vor, die für eine Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen sprechen, kann das Betreuungsgericht gemäß § 283 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch eine Untersuchung des Betroffenen sowie dessen Vorführung anordnen. Eine solche Maßnahme wird allerdings regelmäßig erst dann in Betracht kommen, wenn der Betroffene sich der notwendigen Untersuchung verweigert oder eine solche Verweigerung von vornherein absehbar oder Gefahr im Verzug ist (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 – XII ZB 209/06 – FamRZ 2008, 774 Rn. 17).
b) Dem wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.
Zu Unrecht hat das Landgericht die zwangsweise Durchführung der Begutachtung auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen als unverhältnismäßig angesehen.
aa) Das Landgericht ist nach der Anhörung der Betroffenen von der Notwendigkeit einer Begutachtung ausgegangen, weil es Zweifel an ihrer vollständigen psychischen Gesundheit gehegt hat. Damit hat es der Sache nach – wenn auch nicht ausdrücklich – das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte dafür bejaht, dass ein Betreuungsbedarf besteht. Denn andernfalls wäre die Einholung eines Sachverständigengutachtens schon nicht zulässig gewesen. Hinzu kommt, dass der Senat im vorangegangenen Rechtsbeschwerdeverfahren bereits aufgrund der bis dahin getroffenen Feststellungen hinreichende Anhaltspunkte für eine Betreuungsbedürftigkeit gesehen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juni 2016 – XII ZB 603/15 – FamRZ 2016, 1663 Rn. 21).
Das Landgericht hat gleichwohl die zwangsweise Umsetzung der Begutachtung abgelehnt. Dies hat es damit begründet, zum derzeitigen Verfahrensstand bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die betreuungsrechtlichen Maßnahmen mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ in Betracht kämen. Dabei hat es verkannt, dass das Betreuungsgericht beim Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für eine Betreuungsbedürftigkeit eines Betroffenen nicht nur – wie von § 280 FamFG vorgeschrieben – ein Sachverständigengutachten einholen kann. Es kann nach § 283 FamFG vielmehr auch eine Untersuchung des Betroffenen gegen dessen Willen sowie die Vorführung des Betroffenen zum Zwecke dieser Untersuchung anordnen. In beiden Fällen ist entscheidend, ob hinreichende Anhaltspunkte für eine Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen sprechen (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 – XII ZB 209/06 – FamRZ 2008, 774 Rn. 17).
Die Zwangsmaßnahmen (Anordnung der Untersuchung und die Vorführung des Betroffenen) als solche müssen allerdings verhältnismäßig sein. Sie müssen namentlich erforderlich sein, um die Begutachtung durchführen zu können. Hieran fehlt es, wenn mildere Mittel – etwa eine Androhung – zur Verfügung stehen (vgl. MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 283 Rn. 4 mwN). So ermöglicht die in § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG vorgesehene Anhörung dem Betreuungsrichter, den Betroffenen auf die Konsequenzen seiner Weigerung hinzuweisen (Keidel/Budde FamFG 19. Aufl. § 283 Rn. 5) und damit auf seine freiwillige Mitwirkung an der Begutachtung hinzuwirken. Schließlich kann mit der zwangsweise durchgeführten Maßnahme ohnehin nur erreicht werden, dass sich der Sachverständige einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschafft. Denn zu einer aktiven Mitwirkung bei der Begutachtung kann der Betroffene nicht gezwungen werden (Jox in Fröschle Praxiskommentar Betreuungs- und Unterbringungsverfahren 3. Aufl. § 283 Rn. 3 mwN).
Das Gericht darf die Begutachtung des Betroffenen im Übrigen dann nicht mit den gemäß §§ 283 f. FamFG zu Gebote stehenden Mitteln durchsetzen, wenn die Vorführung des Betroffenen oder deren zwangsweise Vollziehung außer Verhältnis zum Verfahrensgegenstand stehen würden (Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2014 – XII ZB 355/14 – FamRZ 2015, 486 Rn. 13 mwN; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 4. Aufl. § 283 Rn. 10; vgl. Senatsbeschluss vom 2. Juli 2014 – XII ZB 120/14 – FamRZ 2014, 1543 Rn. 16 zur persönlichen Anhörung).
bb) Dass die zwangsweise Durchsetzung der Begutachtung unverhältnismäßig wäre, hat das Landgericht nach diesen Maßgaben nicht rechtsfehlerfrei beurteilt. Vor allem verhält sich die angegriffene Entscheidung nicht zu der Frage, ob etwaige Maßnahmen nach §§ 283 f. FamFG außer Verhältnis zum Verfahrensgegenstand stünden. Dabei lässt sich aufgrund der bislang vorliegenden Anhaltspunkte nicht ausschließen, dass für die Betroffene eine Betreuung mit einem über die Vertretung im Zugewinnausgleichsverfahren hinausgehenden Aufgabenkreis anzuordnen ist. Die Äußerung des Sachverständigen, wonach die Vorführung der Betroffenen „zumindest aus psychiatrischer Sicht als nicht verhältnismäßig angesehen“ werde, stellt lediglich eine rechtlich unverbindliche Einschätzung des Gutachters dar.
3. Gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 3 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an eine andere Zivilkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.