Zur erneuten Anhörung des Betroffenen bei unterlassener Bestellung eines Verfahrenspflegers

BGH, Beschluss vom 06. Mai 2020 – XII ZB 504/19

Hat das Amtsgericht es in verfahrenswidriger Weise unterlassen, in einem Betreuungsverfahren für den Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, und hat es demgemäß den Betroffenen ohne Verfahrenspfleger angehört, so hat das Landgericht den Betroffenen erneut anzuhören und dem – nunmehr von ihm bestellten – Verfahrenspfleger Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – XII ZB 465/17, FamRZ 2018, 705).(Rn.11)(Rn.13)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 24. September 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe
I.

1
Die Betroffene wendet sich gegen die für sie eingerichtete Betreuung.

2
Das Amtsgericht hat für die Betroffene, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und ihrer Anhörung eine Betreuung für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Wohnungsangelegenheiten eingerichtet. Ferner hat es angeordnet, dass die Betroffene zur Wirksamkeit von Willenserklärungen im Bereich Vermögensangelegenheiten der Einwilligung des Betreuers bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht ihr erstmals einen Verfahrenspfleger bestellt und eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt. Sodann hat es den angefochtenen Beschluss ohne erneute Anhörung der Betroffenen dahin abgeändert, dass die Betreuerbestellung ausschließlich den Aufgabenkreis Gesundheitssorge umfasst. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

4
1. Das Landgericht hat ausgeführt, nach dem gesamten Akteninhalt bestünden keine ernsthaften Zweifel daran, dass die Betroffene an einer bereits langjährig bekannten paranoiden Schizophrenie leide. Dabei sei es zuletzt Anfang 2019 unter fehlender Medikamenteneinnahme zu einer psychotischen Exazerbation der Erkrankung gekommen, die eine vorübergehende geschlossene Unterbringung der Betroffenen in einer psychiatrischen Klinik erfordert habe.

5
Es sei indes lediglich ein Betreuungsbedarf für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge zu erkennen, nicht dagegen für die vom Amtsgericht angenommenen weiteren Bereiche. Dass der Zustand der Betroffenen wesentlich von demjenigen Anfang 2019 abweiche, ergebe sich nicht nur aus den Stellungnahmen des Verfahrenspflegers, sondern auch aus den aktuellen Feststellungen des Sachverständigen.

6
Es lasse sich lediglich für den Bereich der Gesundheitssorge verlässlich feststellen, dass die Betroffene nicht dazu in der Lage sei, einen freien Willen zu bilden. Insoweit sei die Betroffene offenkundig außerstande, die Schwere ihrer Erkrankung und die damit einhergehenden Folgen und Risiken realistisch einzuschätzen.

7
Im Beschwerdeverfahren sei die erneute persönliche Anhörung der Betroffenen nicht erforderlich gewesen, weil diese in erster Instanz erfolgt sei und von einer neuerlichen Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien.

8
2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung schon in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht stand. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Landgericht die Betroffene hätte erneut anhören müssen.

9
a) Nach der Rechtsprechung des Senats räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung dagegen eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen. Zudem kann im Beschwerdeverfahren nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 15. August 2018 – XII ZB 10/18FamRZ 2018, 1770 Rn. 11 mwN).

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b) Vorliegend hätte das Landgericht die Betroffene erneut anhören müssen, weil die Anhörung durch das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft erfolgt ist. Denn es hat der Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt und dementsprechend die Betroffene ohne Verfahrenspfleger angehört.

11
aa) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll – wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist – nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und im Verfahren begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – XII ZB 465/17FamRZ 2018, 705 Rn. 7 mwN).

12
bb) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt, wobei es hierfür genügt, wenn die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst (Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2019 – XII ZB 249/19FamRZ 2020, 538 Rn. 7 mwN). Ebenso ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für das gesamte Vermögen in Betracht kommt (Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 577/17FamRZ 2018, 1193 Rn. 12 mwN).

13
cc) Gemessen hieran hätte das Amtsgericht der Betroffenen einen Verfahrenspfleger bestellen und ihm Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung der Betroffenen teilzunehmen.

14
In ihrer Anregung, eine Betreuung für die Betroffene einzurichten, hatte die psychiatrische Klinik bereits die Einrichtung einer umfassenden gesetzlichen Betreuung vorgeschlagen. Aus dem Sachverständigengutachten vom 25. Februar 2019 ergibt sich zudem die Empfehlung des Gutachters, aus nervenärztlicher Sicht für die Betroffene einen Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge und finanzielle Angelegenheiten einzurichten. Deshalb war das Amtsgericht vor der von ihm vorgenommenen Anhörung am 14. Mai 2019 gehalten, der Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Soweit das Amtsgericht die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers mit dem „offensichtlich(en)“ Betreuungsbedarf begründet hat, ist dies als Begründung i.S.v. § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG schon im Ansatz nicht geeignet.

15
Weil damit die Anhörung durch das Amtsgericht ohne Teilnahmemöglichkeit des hier zu bestellenden Verfahrenspflegers und demgemäß verfahrensfehlerhaft erfolgt war, musste das Landgericht, das der Betroffenen auf der Grundlage der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung zu Recht einen Verfahrenspfleger bestellt hat, ihre Anhörung erneut durchführen.

16
3. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil das Landgericht noch weitere Feststellungen zu treffen haben wird. Deshalb ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.

17
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf das Folgende hin:

18
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde beruht die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer möglichen Widersprüchlichkeit des Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Betroffene durchgehend keine Krankheitseinsicht hat. Ohne Krankheitseinsicht ist die Betroffene indes nicht in der Lage, die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte abzuwägen, und kann daher auch keinen freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB bilden (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 – XII ZB 336/17FamRZ 2018, 134 Rn. 16 f. mwN).

19
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen, § 74 Abs. 7 FamFG.

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