Zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers

BGH, Beschluss vom 11. September 2019 – XII ZB 537/18

1. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 12. Juni 2019 – XII ZB 51/19, juris). (Rn.4)

2. Dass ein Betreuungsbedarf für das erkennende Gericht offensichtlich ist, steht als solches der Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht entgegen. (Rn.7)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 26. September 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 €

Gründe
I.

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Die 69jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer chronifizierten wahnhaften Störung, differenzialdiagnostisch betrachtet in Gestalt einer paranoiden Schizophrenie, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Heimplatzangelegenheiten, Regelung des Postverkehrs, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die weitere Beteiligte als Berufsbetreuerin bestimmt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

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1. Sie rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht keinen Verfahrenspfleger für die Betroffene bestellt hat.

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a) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (Senatsbeschluss vom 12. Juni 2019 – XII ZB 51/19 – juris Rn. 13 mwN).

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Nach diesen Maßgaben ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebensgestaltung keinen nennenswerten eigenen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom 25. April 2018 – XII ZB 528/17FamRZ 2018, 1111 Rn. 7 mwN). Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte. Ob es sich um einen solchen Ausnahmefall handelt, ist anhand der gemäß § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen (Senatsbeschluss vom 16. Mai 2018 – XII ZB 214/17NJW-RR 2018, 1030 Rn. 9 mwN).

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b) Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung der Betroffenen umfasst, so dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG grundsätzlich erforderlich war. Die Interessen des Betroffenen waren im Betreuungsverfahren auch nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 276 Abs. 4 FamFG vertreten.

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Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers hätte deswegen nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur unter den bereits genannten Voraussetzungen abgesehen werden können (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2018 – XII ZB 635/17FamRZ 2018, 1692 Rn. 8). Weil das Landgericht entgegen § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht begründet hat, warum es keinen Verfahrenspfleger bestellt hat, kann der Senat weder prüfen, ob es von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist. Dass die vor dem Landgericht anwaltlich nicht vertretene Betroffene ihre Interessen selbst hätte wahrnehmen können, erscheint schon angesichts des für beinahe alle Angelegenheiten angenommenen Betreuungsbedarfs fernliegend. Dass ein Betreuungsbedarf für das erkennende Gericht offensichtlich ist, steht als solches der Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht entgegen.

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2. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FamFG ist er aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird, unter Beteiligung eines Verfahrenspflegers, eine Anhörung im Beschwerdeverfahren nachzuholen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Mai 2019 – XII ZB 57/19FamRZ 2019, 1356 Rn. 5 ff. mwN).

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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

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