LG Mainz, Urteil vom 08.03.2012 – 1 O 250/11
Schadensersatzpflicht des Betreuers bei Überlassung hoher Geldbeträge an Betreuten
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger EUR 27.180,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.09.2011 zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Beklagte ist der ehemalige Betreuer der Kläger. Für den Kläger zu 1) war er im Zeitraum vom 13.01.2009 bis 09.12.2010, für die Klägerin zu 2) vom 17.02.2009 bis 09.12.2010 jeweils durch Beschluss des Amtsgerichts … zum Betreuer bestellt (vgl. Anl. I zur Klageschrift). Seit dem 09.12.2010 ist die Tochter der Kläger die Betreuerin. Die Kläger begehren vom Beklagten die Rückzahlung von Beträgen, die dieser im Rahmen der ihm übertragenen Betreuung bar von den Konten der Kläger abgehoben hat. Hierbei handelte es sich im Zeitraum vom 22.02.2009 bis 21.02.2010 um Barbeträge in Höhe von insgesamt EUR 18.530,00 (vgl. Bl. 3/4 d. A.) sowie im Zeitraum vom 21.02.2010 bis 17.12.2010 um Beträge in Höhe, von insgesamt EUR 8.650,00 (vgl. Bl. 4 d. A.). Die Verwendung dieser Beträge ist zwischen den Parteien streitig.
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Wegen der Lebensumstände der Kläger und deren Aufenthalten während der Anordnung der Betreuung wird auf die Darstellung Bl. 6 bis 8 d. A. Bezug genommen.
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Die Kläger tragen vor,
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der Beklagte habe seine Pflichten aus dem Betreuungsverhältnis verletzt, er habe nicht nachgewiesen, dass er die im Rahmen der Betreuung bar abgehobenen Gelder bestimmungsgemäß für die Kläger verwandt habe. In Folge dessen ergebe sich ein Zahlungsanspruch der Kläger aus § 667 BGB analog oder §§ 1833 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB. Die allgemeinen Lebenshaltungskosten der Kläger seien gedeckt gewesen, auch hätten diese an ihre Töchter keine Geldgeschenke getätigt.
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Die Kläger beantragen,
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den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger EUR 27.180,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor,
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die Aushändigung der Beträge sei ihm jeweils quittiert worden, darüber hinaus habe ihm der Rechtspfleger beim Amtsgericht … – was unstreitig ist – Entlastung erteilt (Bl. 49 d. A.). Die Bargeldbeträge seien für Einkäufe, Pflegepersonen und die Töchter der Kläger verwandt worden. Auch sei der Kläger zu 1) sehr bestimmend gewesen, alle Abhebungen seien auf seinen Wunsch hin erfolgt. Zum Zeitpunkt der Errichtung der Betreuung sei der Kläger zu 1) nicht geschäftsunfähig gewesen.
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Zur weiteren Darstellung der Sach- und Rechtslage wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Das Gericht hat die Akten 11 XVII 345/08 Amtsgericht … beigezogen und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist in vollem Umfang begründet. Den Klägern steht gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 27.180,00 aus § 667 BGB analog und §§ 1833 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB zu.
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§ 667 BGB findet auf das Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem entsprechende Anwendung. Zwar besteht zwischen diesen kein Auftragsverhältnis im Sinne von § 662 BGB, der Betreuer leitet seine Befugnisse vielmehr aus der ihm vom Betreuungsgericht übertragenen Amtsstellung ab. Er hat jedoch einem Beauftragten vergleichbare Rechte und Pflichten. Dies bedeutet, dass er die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen hat, dass es dessen Wohl entspricht (§ 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB, Saarländische Oberlandesgericht vom 22.12.2010, 8 U 622/09, FamRZ 2011, 1170). Da dem Beklagten sowohl für den Kläger zu 1) als auch für die Klägerin zu 2) die Vermögenssorge übertragen worden war, war er verpflichtet, das zum Vermögen der Betreuten gehörende Geld verzinslich anzulegen, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten war (§ 1806 BGB i. V. m. § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB). Über diese Vermögensverwaltung hat er dem Betreuungsgericht Rechnung zu legen (§ 1840 f. BGB i.V. m, § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB). Demzufolge war der Beklagte als Betreuer wie ein Beauftragter verpflichtet, Gelder, die er bei der Ausübung der Betreuung aus dem Vermögen der Kläger als Betreute erlangt hat, herauszugeben, soweit er diese nicht bestimmungsgemäß verwendet hat. Hinsichtlich der bestimmungsgemäßen Verwendung der aus dem Vermögen der Kläger erlangten Gelder trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Er muss darlegen und, weil von den Klägern bestritten, beweisen, dass er die Bargeldgeldbeträge, die er unstreitig in Höhe der Klageforderung von dem Konto der Kläger abgehoben hat, bestimmungsgemäß für die Zwecke der Kläger verwendet hat.
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Der Beklagte hat im Rahmen seiner Anhörung hierzu erklärt, er habe dem Kläger zu 1) das Geld gegeben, weil er danach verlangt habe und es seinen Angaben zu Folge für die allgemeine Lebensführung benötigt habe und auch, um es an Töchter und Enkelkinder zu verschenken.
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Den ihm obliegenden Beweis der bestimmungsgemäßen Verwendung hat der Beklagte jedoch nicht erbracht. Er behauptet, er habe die von ihm abgehobenen Beträge jeweils in bar dem Kläger 1) ausgehändigt. Zum Nachweis hierfür hat er für Barabhebungen in dem Zeitraum vom 22.02.2009 bis zum 04.02.2010 Kopien von Quittungen über Abhebungen in Höhe von insgesamt EUR 18.530,00 vorgelegt. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass die Quittungen die Aushändigung der Bargeldbeträge durch den Beklagten an die Kläger nicht beweisen. Gem. § 368 Satz 1 BGB ist eine Quittung ein schriftliches Empfangsbekenntnis des Gläubigers über den Empfang einer Leistung. Eine ordnungsgemäß errichtete Quittung erbringt gem. § 416 ZPO zunächst lediglich den vollen Beweis dafür, dass der Gläubiger den Empfang der Leistung bestätigt hat. Hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit der Quittung, d. h. für die Frage, ob die Aushändigung tatsächlich erfolgt ist, gilt nach § 286 ZPO der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Die materielle Beweiskraft einer Quittung hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Sie kann durch jeden Gegenbeweis entkräftet werden, wobei der Gegenbeweis bereits dann geführt ist, wenn die Überzeugung des Gerichts von der zu beweisenden Tatsache, also hier den Empfang der Leistung, erschüttert wird. Dass sie als unwahr erwiesen wird oder sich nur eine zwingende Schlussfolgerung gegen sie ergibt, ist nicht nötig. Zur Erschütterung der Überzeugung vom Empfang der Leistung kann bereits genügen, wenn die Quittung von einem Geschäftsunfähigen stammt (Saarländisches Oberlandesgericht, a. a. O).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Beklagte den ihm für die Aushändigung der Bargeldbeträge an die Kläger obliegenden Beweis mit der Vorlage der Quittungen für den o. g. Zeitraum nicht geführt. Die inhaltliche Richtigkeit der Quittungen wird durch zahlreiche unstreitige Umstände in Zweifel gezogen.
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Die Anordnung der Betreuung für die Klägerin zu 2) erfolgte, wie sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts … vom 17.02.2009 (Anl. I zur Klageschrift) ergibt, aufgrund einer Demenz. Es steht damit für das Gericht außer Zweifel, dass die Klägerin zu 2) auch geschäftsunfähig war. Hinsichtlich des Klägers zu 1) erfolgte die Anordnung der Betreuung, wie sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts … vom 13.01.2009 ergibt, aufgrund einer depressiven Erkrankung. Ausweislich des ärztlichen Gutachtens der … vom 15.12.2009, das dieser Betreuungsanordnung voraus gegangen ist, leidet der Kläger zu 1) an einer depressiv gefärbten Demenz. Aus dem ärztlichen Gutachten … vom 07.01.2009, welches ebenfalls im Zusammenhang mit der Anordnung der Betreuung bzgl. des Klägers zu 1) eingeholt wurde, ergibt sich, dass bzgl. des Klägers zu 1) nicht nur eine depressive Erkrankung, sondern auch eine progredient demenzielle Entwicklung besteht. Wegen der weiteren Einzelheiten und der Darstellung des Zustandes des Klägers zu 1), die sich sehr anschaulich hieraus ergibt, wird auf das Gutachten (Bl. 69/70 d. A.) verwiesen. Der Beklagte selbst hat dem Betreuungsgericht unter dem 05.04.2010 (Bl. 72/73 d. A.) berichtet, dass der Kläger zu 1) an einer demenziellen Erkrankung, begleitet mit einer zunehmenden psychischen Störung leide. Insoweit bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger zu 1) bei der Ausstellung der Quittungen überhaupt geschäftsfähig war. Darüber hinaus ergibt sich aus der Anhörung des Klägers zu 1) im Rahmen des Betreuungsverfahrens vom 18.01.2011 (Anl. I zur Klageschrift), dass dieser auf die Frage der Betreuungsrichterin zu seiner Unterschrift auf einer Quittung erklärt hat, er könne sich nicht erinnern, dem Beklagten etwas unterschrieben zu haben.
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Hinzu kommt, dass aufgrund der Lebensumstände der Kläger es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gibt, wofür diese sie streitgegenständlichen Geldbeträge verwendet haben könnten. Zwischen Februar und Juni 2009 befanden sich beide Kläger über sehr lange Zeiträume (vgl. im Einzelnen Bl. 7 d. A.) in einer Tagespflege, d. h. sie waren von 9.00 Uhr bis 16.30 Uhr außer Haus und wurden verpflegt. An den Tagen, an denen der Kläger 1) nicht in der Tagespflege war, wurde ihm Essen auf Rädern geliefert. Die Körperpflege, Haushaltsführung einschließlich Reinigung der Wäsche, wurde durch eine ambulante Pflege abgedeckt, welche auch Frühstück, Abendessen und den Einkauf erledigte. Darüber hinaus befand sich der Kläger zu 1) vom 17.06. bis 29.06.2009 stationär im Krankenhaus sowie vom 29.06. bis 21.09.2009 vollstationär im Haus …, gleiches gilt für die Klägerin zu 2) ab dem 02.07.2009. Ab September 2009 erfolgte eine Pflege durch zwei Haushaltshilfen bei den Betreuten zu Hause. Auch während dieser Zeit befand sich der Kläger mehrfach in stationärer Behandlung im …, ab dem 14.12.2009 befand er sich ständig in der … . Die Klägerin zu 2) wurde noch bis zum 14.02.2011 zu Hause weiter versorgt. Der Kläger zu 1) befindet sich seit dem 01.05.2010 vollstationär im … . Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie die Kläger die vom Beklagten abgehobenen Bargeldbeträge in diesem Zeitraum hätten verwenden sollen.
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All diese Umstände reichen aus, um die Überzeugung des Gerichts von der inhaltlichen Richtigkeit der Quittungen zu erschüttern. Es bedurfte insoweit auch nicht mehr der Erhebung des vom Beklagten angebotenen Sachverständigenbeweises, der Kläger zu 1) sei geschäftsfähig gewesen.
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Soweit der Beklagte Beweis durch Vernehmung seiner Ehefrau dafür anbietet, dass der Kläger ihn davon in Kenntnis gesetzt habe, es seien neue Winterjacken angeschafft worden, Geldgeschenke seien an Haushaltshilfen oder die Töchter getätigt worden und Abends habe regelmäßig das Essen eines Pizza Services auf dem Tisch gestanden, was seine Ehefrau bestätigen könne, die ihn drei bis vier Mal ins Haus der Betreuten bzw. Krankenhaus begleitet habe, so ist dies unsubstantiiert. Der Beklagte hat nicht im Einzelnen dargelegt, welche Barabhebungen hierdurch verwendet worden sein sollen.
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Letztlich sei noch auf Folgendes hingewiesen:
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Allein in dem Zeitraum vom 17.06.2009 bis 21.09.2009, in dem sich der Kläger zu 1) im … bzw. … befand, hat der Beklagte Barabhebungen von insgesamt EUR 5.700,00 getätigt. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, wofür diese Beträge verwendet worden sein sollen.
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Der Beklagte hat nach alledem nicht den ihm obliegenden Beweis einer bestimmungsgemäßen Verwendung der streitgegenständlichen Beträge erbracht.
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Hinsichtlich der weiteren in den Betreuungsakten befindlichen Quittungen, die den Restzeitraum betreffen, bedurfte es im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen daher keiner Überprüfung.
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Es kommt vorliegend auch nicht darauf an, dass das Betreuungsgericht, was unstreitig ist, dem Beklagten Entlastung erteilt hat, jedenfalls für den Zeitraum vom 22.02.2009 bis 21.02.2010. Dieser Umstand spielt für das hier zu beurteilende Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten als Betreuer und den Klägern als Betreute keine Rolle. Die Rechnungslegung durch den Betreuer sowie deren Prüfung durch das Betreuungsgericht betrifft allein die Rechtsbeziehung zwischen Betreuer und Betreuungsgericht, nicht jedoch das Rechtsverhältnis zwischen Betreuer und Betreuten, so dass selbst die vom Betreuungsgericht anerkannte Richtigkeit einer Abrechnung, wie sich aus §§ 1843 Abs. 2, 1892 Abs. 2 BGB jeweils i, V. m. 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, ohne Einfluss auf mögliche Ansprüche des Betreuten gegen den Betreuer ist (Saarländisches Oberlandesgericht, a. a. O.).
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Nach alledem ist der Beklagte verpflichtet, einen Betrag in Höhe von EUR 27.180,00, nämlich die Barabhebungen, die er im Zeitraum zwischen dem 22.02.2009 und 17.12.2010 von den Konten der Kläger getätigt hat und deren bestimmungsgemäße Verwendung er nicht nachgewiesen hat, an die Kläger zurück zu zahlen.
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Der Anspruch der Betreuten wäre im Übrigen auch aus §§ 1833, 1908 i BGB begründet, denn der Beklagte hat durch die Abhebung der Bargeldbeträge seine Pflicht aus dem Betreuungsverhältnis, das Vermögen der Betreuten in deren Interesse zu verwenden, verletzt, indem er hohe Geldbeträge abgehoben und – nach seinem Bekunden – ausgehändigt hat, ohne eine Kontrolle ohne deren Verwendung zu haben, was zumindest fahrlässig erfolgt ist. Ohne die Pflichtverletzung wäre das Geld noch im Vermögen der Betreuten vorhanden.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die: Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.