OLG Koblenz, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 4 W 79/18
1. Ein bestellter (Berufs-)Betreuer kann gegenüber dem Betreuten zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er für diesen eine bestehende private Kranken- und Pflegeversicherung kündigt und kurze Zeit später der – die Versicherung aufgrund der Vertragskündigung nicht mehr zur Leistung verpflichtende – Versicherungsfall eintritt.(Rn.7)
2. Allein der Umstand, dass der Betreute nicht über die finanziellen Mittel zur laufenden Beitragszahlung verfügt, rechtfertigt eine solche Kündigung nicht, wenn der Eintritt des Versicherungsfalls (und einer damit verbundenen Beitragsbefreiung) absehbar war.(Rn.8)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 5.12.2017 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe
1
Die Antragsgegnerin war in der Zeit vom 13.6.2016 bis zum 16.1.2017 zur Betreuerin der Antragstellerin bestellt. In diesem Zeitraum kündigte sie am 7.7.2016 eine für die Antragstellerin bei der …[A] Versicherung AG bestehende private Kranken- und Pflegeversicherung mit Wirkung zum 1.8.2016. Nach Angaben der Antragstellerin sei bereits zum 25.8.2016 der – zu diesem Zeitpunkt nicht mehr versicherte – Versicherungsfall eingetreten, aufgrund dessen sie bei einem Fortbestand der Versicherung Leistungen von mehr als 18.000 € aus diesen Versicherungen hätte erhalten können. Die Antragstellerin lastet der Antragsgegnerin eine pflichtwidrige Kündigung der privaten Kranken- und Pflegeversicherung an und beabsichtigt, im Wege einer Schadensersatzklage die ihr entgangenen Leistungen gegenüber der Antragsgegnerin geltend zu machen. Für diese beabsichtigte Rechtsverfolgung hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
2
Die Antragsgegnerin ist diesem Antrag entgegengetreten und hat ihre Vorgehensweise verteidigt. Die Antragstellerin sei nicht in der Lage gewesen, ihren monatlichen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, so dass es geboten gewesen sei, ihre monatlichen Belastungen zu reduzieren. Die Antragstellerin sei über die gesetzliche Krankenversicherung hinreichend abgesichert gewesen. Zudem sei der Eintritt des Versicherungsfalls nicht absehbar gewesen. Sie hat ferner darauf hingewiesen, dass ihr ohnehin durch die nunmehrigen Betreuerinnen der Antragstellerin Entlastung erteilt worden sei und einer Leistungspflicht der Versicherung vorvertragliche Anzeigepflichtverletzungen seitens der Antragstellerin bei Abschluss der Zusatzversicherungen entgegengestanden hätten.
3
Durch seinen angegriffenen Beschluss hat das Landgericht die beantragte Prozesskostenhilfe verweigert und sich zur Begründung darauf gestützt, dass der beabsichtigten Klage eine hinreichende Erfolgsaussicht fehle. Die unzureichende finanzielle Situation der Antragstellerin werde schon durch ihr Prozesskostenhilfegesuch belegt, sodass es seitens der Antragsgegnerin nicht pflichtwidrig gewesen sei, die monatlichen laufenden Verpflichtungen der Antragstellerin durch Kündigung der privaten Krankenzusatzversicherung zu reduzieren. Es sei auch nicht geboten gewesen, die parallel bestehende Unfallversicherung zu kündigen, da ebenso gut dort unmittelbar nach Kündigung der Versicherungsfall hätte eintreten können. Ein gesetzlicher Schutz hätte dann nicht bestanden, anders als bei der hier gekündigten privaten Krankenzusatzversicherung.
4
Gegen den Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Insbesondere betont die Antragstellerin, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass angesichts ihres – zur Einrichtung der Betreuung führenden – Krankheitsverlaufs der zeitnahe Eintritt des Versicherungsfalles absehbar gewesen sei, was die Antragsgegnerin bei ihrer pflichtwidrigen Kündigung gerade der privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung unberücksichtigt gelassen habe.
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Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache – zumindest vorläufigen – Erfolg. Die vom Landgericht angeführte Begründung für die Verweigerung der Prozesskostenhilfe trägt auf Basis des bisherigen Vorbringens der Parteien nicht.
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Auf Grundlage des bislang vorliegenden Vortrags der Parteien erscheint ein Erfolg der Klage ebenso möglich wie eine letztliche Klageabweisung. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Antragstellerin ihren laufenden monatlichen Zahlungsverpflichtungen damals nicht nachkommen konnte und daher für die Antragsgegnerin Handlungsbedarf bestand. Ebenfalls verweist die Antragsgegnerin zu Recht darauf, dass sie vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin – trotz ihrer prekären finanziellen Situation – noch die Versicherungsbeiträge für ihre Töchter und eine Enkelin leistete, diese Zahlungen zu Gunsten der Verwandten der Antragstellerin einstellen musste. Eine isolierte Kündigung der zu Gunsten der Töchter und der Enkelin bestehenden privaten Krankenzusatzversicherungen wäre indes – auch wenn diese unter einer gemeinsamen Versicherungsnummer mit der für die Antragstellerin bestehenden privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung geführt wurden – möglich gewesen und erforderte daher nicht die Kündigung sämtlicher Unterversicherungen.
8
Allein der Umstand, dass für die Antragstellerin ein hinreichender Kranken- und Pflegeversicherungsschutz bereits durch die gesetzliche Versicherung gewährleistet war, rechtfertigt es jedoch nicht, dass sie – ohne jegliche weitere Prüfung – die privaten Zusatzversicherungen der Antragstellerin kündigen durfte, um die damit verbundenen erheblichen monatlichen Zusatzkosten zu vermeiden. Insoweit hätte die Antragsgegnerin eine Risikoabwägung vornehmen müssen, ob der Verlust von finanziellen Leistungen aus den bestehenden Versicherungen für die Antragstellerin möglicherweise größere finanzielle Nachteile mit sich bringen werde als durch den Wegfall der monatlichen Beitragszahlungen erreicht werden konnten. Dass die Antragsgegnerin ihren diesbezüglichen Pflichten hinreichend nachgekommen ist, kann ihrem bisherigen Vortrag noch nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnommen werden.
9
So hat die Antragsgegnerin nur einen Tag nach Kündigung der privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung mit Nachdruck gegenüber dem medizinischen Dienst der Krankenkassen dargelegt, welch erheblichen Defizite bei der Antragstellerin bereits vorliegen. Diese Defizite müssen ihr bereits zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung bewusst gewesen sein. Sie hätte dann aber prüfen müssen, ob die vorgebrachten Defizite bereits zur Folge gehabt hätten, dass bei der privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung die dort vereinbarte Leistungsfreiheit eingetreten wäre, so dass es einer Kündigung dieser Versicherungen gar nicht mehr bedurft hätte. Unabhängig davon erscheint es plausibel, dass für die Antragsgegnerin angesichts des erheblichen Krankheitsbildes der Antragstellerin absehbar war, dass zeitnah ein Versicherungsfall eintreten könnte, der der Antragstellerin dann erhebliche Einnahmen aus den bestehenden Zusatzversicherungen gesichert hätte. Dass die Antragsgegnerin insoweit eine Risikoabwägung vorgenommen hat und trotz des nahe liegenden Eintritts eines Versicherungsfalles per Saldo finanzielle Vorteile bei einer Kündigung der bestehenden Versicherungen gesehen hätte, kann ihrem Vortrag nicht entnommen werden. Da auch ihr Vortrag zu den angeblichen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzungen seitens der Antragstellerin bei Abschluss der Zusatzversicherungen bislang gänzlich unsubstantiiert geblieben ist, erscheint unter Berücksichtigung des derzeitigen Sachvortrags der Parteien durchaus denkbar, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung zum sorgfältigen Umgang mit dem Vermögen der betreuten Antragstellerin nicht im gebotenen Umfang nachgekommen ist.
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Eine eventuell einer Inanspruchnahme auf Schadensersatz entgegenstehende Entlastung der Antragsgegnerin durch die nachfolgenden Betreuerinnen der Antragstellerin ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie die von der Antragsgegnerin behauptete Kenntnis der Antragstellerin sowie der nunmehrigen Betreuerinnen von der beabsichtigten Kündigung der privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung, so dass es hier zunächst einer weiteren Substantiierung des Sachvortrags der Antragsgegnerin und nachfolgend möglicherweise einer Beweisaufnahme bedürfte. Eine Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung vermag der derzeitige Sachvortrag der Antragsgegnerin daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu begründen. Ähnliches gilt für die ebenfalls streitige Frage, ob den nunmehrigen Betreuerinnen die zu ihren Gunsten bestellte Vorsorgevollmacht im Sommer 2016 bekannt war. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, entbindet dies die Antragsgegnerin als – eventuell überflüssigerweise – bestellte Betreuerin nicht von einer Haftung für pflichtwidriges Verhalten, welches ihr im Rahmen ihrer tatsächlich ausgeübten Betreuertätigkeit angelastet werden kann.
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Der landgerichtliche Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 572 Abs. 3 ZPO). Sollte das Landgericht dabei auch unter Berücksichtigung des nunmehr zu erwartenden, ergänzenden Sachvortrags der Parteien die hinreichenden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage bejahen, wird es sich zudem mit der – bislang bewusst offen gelassenen – Frage auseinanderzusetzen haben, ob bei der über Grundvermögen verfügenden Antragstellerin überhaupt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).