BGH, Beschluss vom 08.08.2018 – XII ZB 139/18
a) In einem Betreuungsverfahren ersetzt die Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens an den Verfahrenspfleger oder an den Betreuer grundsätzlich nicht die notwendige Bekanntgabe an den Betroffenen persönlich (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 7. Februar 2018 – XII ZB 334/17 – FamRZ 2018, 707).
b) Zur Erforderlichkeit einer Betreuung bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mosbach vom 21. Februar 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe
I.
Der Betroffene wendet sich gegen die Bestellung eines Betreuers.
Der Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie sowie an einem schizophrenen Residuum. Im April 2017 wurde der Beteiligte zu 1 zunächst zum vorläufigen Betreuer bestellt. Nachdem der Betroffene am 30. März 2017, 18. April 2017 und 24. Mai 2017 angehört worden war, hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und der telefonischen Mitteilung des Betroffenen, dass er einen weiteren Anhörungstermin nicht wahrnehmen werde, mit Beschluss vom 8. Januar 2018 den Beteiligten zu 1 zum Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung sowie Postangelegenheiten bestellt.
Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat er eine auf den 21. Januar 2018 datierte Patientenverfügung vorgelegt, in der er seinen Vater als Vorsorgebevollmächtigten für alle Aufgabenbereiche benannt hat. Das Landgericht hat nach Anhörung des Betroffenen und des Sachverständigen die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffenen mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Der Betroffene sei nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in dem Gutachten vom 5. Dezember 2017 aufgrund einer psychischen Erkrankung derzeit nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten in dem in der amtsgerichtlichen Entscheidung benannten Aufgabenkreis interessengerecht zu besorgen. Er leide an einer paranoiden Schizophrenie, welche zwischenzeitlich einen chronischen Verlauf genommen habe, sowie an einem schizophrenen Residuum. Die Anordnung der Betreuung gegen den Willen des Betroffenen sei möglich, weil die von ihm geäußerte Ablehnung nicht auf seinem freien Willen beruhe. Der Betroffene schätze seine Defizite im Wesentlichen unzutreffend ein und könne daher die für oder gegen die Betreuung sprechenden Gesichtspunkte nicht gegeneinander abwägen. Der Umfang und die Schwierigkeit der aktuell zu erledigenden Aufgaben rechtfertige die Einsetzung eines Berufsbetreuers. Die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Bestimmung des Überprüfungszeitpunkts sei angesichts der Schwere der Erkrankung des Betroffenen angemessen.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die angefochtene Entscheidung kann schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass dem Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten vom 5. Dezember 2017 nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist.
aa) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2017 – XII ZB 516/16 – FamRZ 2017, 911 Rn. 5 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Aus der Gerichtsakte lässt sich nicht ersehen, dass der Inhalt des Gutachtens dem Betroffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist. Das Amtsgericht hat das Sachverständigengutachten lediglich dem Betreuer und dem Verfahrenspfleger übermittelt. Dies genügt jedoch nicht.
Die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger ersetzt eine Bekanntgabe an den Betroffenen nicht, denn der Verfahrenspfleger ist – anders als ein Verfahrensbevollmächtigter – nicht Vertreter des Betroffenen im Verfahren. Durch eine Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2018 – XII ZB 334/17 – FamRZ 2018, 707 Rn. 12 mwN und vom 8. März 2017 – XII ZB 516/16 – FamRZ 2017, 911 Rn. 7 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Insbesondere enthält das Sachverständigengutachten keinen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.
Ebenso wenig konnte die erforderliche persönliche Bekanntgabe an den Betroffenen durch die Übersendung des Gutachtens an den Betreuer ersetzt werden. Selbst wenn der Betreuer mit dem Betroffenen über das Gutachten gesprochen hätte, wofür jedoch Feststellungen fehlen, genügte dies allein nicht, um dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör gerecht zu werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2018 – XII ZB 334/17 – FamRZ 2018, 707 Rn. 13 und vom 19. Juli 2017 – XII ZB 183/17 – FamRZ 2017, 1715 Rn. 6).
Dieser Verfahrensmangel wurde auch im Beschwerdeverfahren nicht geheilt. Das Landgericht hat den Betroffenen zwar angehört und im Rahmen des Anhörungstermins eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt. Es hat es jedoch versäumt, vor dem Anhörungstermin dem Betroffenen das Sachverständigengutachten in seinem vollen Wortlaut zu übersenden.
b) Auch in der Sache kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.
aa) Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Das gilt auch dann, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 2016 – XII ZB 289/16 – FamRZ 2017, 141 Rn. 8 und vom 3. Februar 2016 – XII ZB 425/14 – FamRZ 2016, 701 Rn. 11).
Anders kann es zum einen liegen, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmachterteilung oder am Fortbestand der Vollmacht bestehen, die geeignet sind, die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr und damit die Wahrnehmung von Rechten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten zu beeinträchtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 – XII ZB 425/14 – FamRZ 2016, 701 Rn. 12). Zum anderen kann trotz erteilter Vorsorgevollmacht eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2016 – XII ZB 289/16 – FamRZ 2017, 141 Rn. 10 mwN).
bb) Danach tragen die bislang getroffenen Feststellungen nicht den Schluss, dass eine Betreuung im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderlich ist.
Der Betroffene hat mit der Beschwerdebegründung eine auf den 21. Januar 2018 datierte Patientenverfügung vorgelegt, in der eine Vorsorgevollmacht enthalten ist, mit der sein Vater als Vorsorgebevollmächtigter für alle Aufgabenbereiche bestellt wird. Mit dieser Vorsorgevollmacht, die grundsätzlich geeignet sein könnte, im vorliegenden Fall den Betreuungsbedarf entfallen zu lassen, hat sich das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung nicht befasst. Es hat weder Feststellungen dazu getroffen, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Errichtung der Vollmacht geschäftsunfähig war, noch zu einer möglichen Ungeeignetheit des Bevollmächtigten.
3. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).