BGH, Beschluss vom 16.05.2018 – XII ZB 214/17
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Begründet der Tatrichter nicht, warum er trotz Vorliegens eines Regelfalls für die Bestellung eines Verfahrenspflegers von dieser absieht, kann das Rechtsbeschwerdegericht weder prüfen, ob er von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 23. August 2017, XII ZB 611/16, FamRZ 2017, 1865).(Rn.8)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus vom 5. April 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
1
Eine ehemals bevollmächtigte Tochter wendet sich gegen die Bestellung einer Berufsbetreuerin für die Betroffene.
2
Die 1926 geborene verwitwete Betroffene leidet an leichtgradiger Demenz und zahllosen körperlichen Erkrankungen. Sie ist die Mutter von vier Kindern, wobei zu zwei Söhnen kaum Kontakt besteht, während die beiden Töchter (Beteiligte zu 2 und 3) – nicht zuletzt wegen der Versorgung der Betroffenen und der Verwaltung ihrer Renteneinkünfte – seit Jahren zerstritten sind.
3
Die Betroffene bevollmächtigte im Jahr 2012 zunächst die Beteiligte zu 2 (und deren Sohn als Ersatzbevollmächtigten) durch „Vorsorgevollmacht/Generalvollmacht“. Im Jahr 2014 widerrief die Betroffene diese Vollmacht und unterzeichnete eine Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung zugunsten der Beteiligten zu 3 mit der Maßgabe, dass auf keinen Fall die Beteiligte zu 2 oder deren Sohn als Betreuer bestellt werden sollten. Die vom Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung als Berufsbetreuerin bestellte Beteiligte zu 1, zu deren Aufgabenkreis auch der Widerruf von Vorsorgevollmachten gehörte, widerrief nochmals die der Beteiligten zu 2 erteilte Vorsorgevollmacht. Im Jahr 2016 erklärte die Beteiligte zu 3, dass sie aufgrund der familiären Querelen nicht mehr als „Vorsorgeberechtigte“ zur Verfügung stehe.
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Das Amtsgericht hat für die Betroffene die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin bestellt und als Aufgabenkreis die Gesundheitssorge, die Aufenthaltsbestimmung, die Vermögenssorge, die Vertretung in Wohnungs- und Heimangelegenheiten, die behördliche Vertretung einschließlich der Regelung des Post- und Schriftverkehrs sowie die Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art bestimmt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2 hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 2 ihr Ziel weiter, die Anordnung der Betreuung aufzuheben. Hilfsweise begehrt sie, selbst anstelle der Beteiligten zu 1 als Betreuerin bestellt zu werden.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist wegen eines Verfahrensfehlers begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen der Anordnung einer Betreuung nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB lägen aufgrund der Demenzerkrankung der Betroffenen vor. Die Anordnung der Betreuung erfolge mit dem Willen der Betroffenen und sei in dem eingerichteten Aufgabenkreis erforderlich. Die Vollmacht zugunsten der Beteiligten zu 2 habe die Betroffene wirksam widerrufen, da sie nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen zum Zeitpunkt des Widerrufs noch geschäftsfähig gewesen sei. Zudem habe auch die Beteiligte zu 1 als Betreuerin mit dem Aufgabenkreis auch des Widerrufs von Vollmachten die zugunsten der Beteiligten zu 2 erteilte Vollmacht widerrufen. Zwar bestehe noch eine wirksame Vorsorgevollmacht zugunsten der Beteiligten zu 3. Diese habe jedoch dargelegt, dass sie angesichts des Streits mit ihrer Schwester nicht mehr als Vorsorgeberechtigte zur Verfügung stehe. Ein maßgeblicher, auch nur einigermaßen konsistenter Wille der Betroffen hinsichtlich der Auswahl der Beteiligten zu 2 als Betreuerin sei nicht erkennbar. Vielmehr habe die Betroffene in der Vollmachtserklärung zugunsten der Beteiligten zu 3 eine Bestellung der Beteiligten zu 2 oder deren Sohns als Betreuer ausdrücklich ausgeschlossen. Schließlich habe sich in der Anhörung der Betroffenen bestätigt, dass zwischen der Beteiligten zu 1 und der Betroffenen ein vertrauensvolles Verhältnis bestehe.
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2. Diese Ausführungen beruhen auf verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterblieben ist.
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a) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (Senatsbeschluss vom 23. August 2017 – XII ZB 611/16 – FamRZ 2017, 1865 Rn. 6 mwN).
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Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht es, wenn die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebensgestaltung keinen nennenswerten eigenen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom 23. August 2017 – XII ZB 611/16 – FamRZ 2017, 1865 Rn. 7 mwN).
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b) Gemessen hieran kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung der Betroffenen umfasst, so dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG grundsätzlich erforderlich war. Dass ein Interesse der Betroffenen an der Bestellung eines Verfahrenspflegers – trotz ihrer ständigen wechselnden Äußerungen zur Auswahl eines Betreuers – offensichtlich nicht besteht, hat das Landgericht nicht festgestellt. Von der Anordnung einer Verfahrenspflegschaft kann aber nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur dann abgesehen werden, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte. Ob es sich um einen solchen Ausnahmefall handelt, ist anhand der gemäß § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen (Senatsbeschluss vom 23. August 2017 – XII ZB 611/16 – FamRZ 2017, 1865 Rn. 9 mwN). Weil das Landgericht entgegen § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht begründet hat, warum es keinen Verfahrenspfleger bestellt hat, kann der Senat weder prüfen, ob es von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist.
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3. Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde ferner darauf hin, dass kein Fall des § 276 Abs. 4 FamFG vorliegt.
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Nach dieser Vorschrift soll die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleiben, wenn die Interessen der Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.
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In einem Verfahren über die Anordnung einer Betreuung kann die für die Betroffene im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig bestellte Betreuerin schon wegen des offenkundigen Interessenkonflikts nicht als andere Verfahrensbevollmächtigte angesehen werden, die geeignet wäre, die Interessen der Betroffenen im Verfahren vergleichbar einem Rechtsanwalt wahrzunehmen.
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4. Gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
14
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).