Zur Betreuerhaftung wegen versäumter Herbeiführung des Krankenversicherungsschutzes des Betreuten

OLG Nürnberg, Beschluss vom 17. Dezember 2012 – 4 U 2022/12

1. Den Betreuer trifft im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises der Gesundheitsfürsorge eine eigene Pflicht, sich um den Krankenversicherungsschutz des Betreuten zu kümmern.(Rn.2)(Rn.7)

2. Der auf den Sozialhilfeträger übergegangene Schadensersatzanspruch des Betreuten gegen den Betreuer, der es versäumt, rechtzeitig für den Betreuten den Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung zu erklären, ist unabhängig davon, dass der Sozialhilfeträger über die Krankenhilfe originäre Aufgaben wahrnimmt.(Rn.5)

3. Ein möglicher sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegen die AOK wegen Verletzung einer Auskunfts-, Beratungs- oder Hinweispflicht durch Unterlassen eines Hinweises auf die Dreimonatsfrist zur Antragstellung kann dem Sozialhilfeträger nicht entgegengehalten werden.(Rn.9)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.09.2012, Az. 1 O 3905/12, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

Gründe
II.

1
Der Beklagte hat keine neuen berücksichtigungsfähigen Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) oder konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen des Landgerichts begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung, noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs. 1 ZPO).

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Das Landgericht hat das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Erlangen vom 12.01.2012 aufrechterhalten und damit festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger übergehende Schadensersatzansprüche nach § 116 SGB X zu ersetzen, die dadurch entstehen, dass der Beklagte die rechtzeitige Anmeldung zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung seines Betreuten G versäumt hat. Der Senat macht sich die überzeugende Begründung des landgerichtlichen Urteils zu eigen.

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Im Hinblick auf die Berufungsbegründung ist ergänzend zu den Entscheidungsgründen des Landgerichts noch Folgendes auszuführen:

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1. Der Anspruch des Betreuten gegen den Betreuer nach §§ 1896, 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1833 Abs. 1, 1901 BGB gehört zu den nach § 116 SGB X übergangsfähigen, d. h. kongruenten Ansprüchen. Der Kläger hat aufgrund eines Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen. Das Schadensereignis liegt darin, dass der Betreuer für seinen Betreuten keinen Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung erklärt hat und ist unabhängig davon, dass der Kläger über die Krankenhilfe originäre Aufgaben wahrnimmt.

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§ 2 Abs. 2 SGB XII bestimmt hierzu, dass Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, unberührt bleiben. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Dieser Grundsatz der Nachrangigkeit (§ 2 Abs. 1 SGB XII) wird auch in dem Fall deutlich, dass der Betreute über Einkommen oder einsetzbares Vermögen verfügt. Dann müsste der Betreute – ohne entsprechende Versicherung – die Krankheitskosten selbst tragen, weil er nicht bedürftig ist.

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2. Nach § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. § 1833 Abs. 1 BGB ist der Betreuer dem Betreuten für den aus einer Pflichtverletzung entstehenden Schaden verantwortlich, wenn ihm ein Verschulden zur Last fällt. Die Pflichtverletzung des Beklagten besteht in der nicht rechtzeitigen Beantragung der freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung seines Betreuten. Der Betreuungstatbestand der Gesundheitsfürsorge fordert von dem Betreuer, dass er die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen hat, wie es dessen Wohl entspricht (§ 1901 Abs. 2 BGB). Hierzu gehört auch, dass die betreute Person selbst über eine entsprechende Krankenversicherung verfügt, da anderenfalls für die in diesem Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der ärztlichen Versorgung entstehenden Kosten der Betreute selbst einzustehen hat. Demgemäß traf den Beklagten als Betreuer im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises der Gesundheitsfürsorge eine eigene Pflicht, sich um den Krankenversicherungsschutz des Betreuten zu kümmern und diesen durch den fristgerechten Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung abzusichern.

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3. Dabei ist die Versäumung der gesetzlichen Dreimonatsfrist nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 SGB V auch verschuldet, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt. Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt derjenige fahrlässig, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Entgegen der Auffassung des Beklagten bestimmt sich die von einem Betreuer zu verlangende Sorgfalt nicht nach dessen Lebenskreis und nach der Rechts- und Geschäftserfahrung des jeweiligen Betreuers. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob der Beklagte als Sozialpädagoge eine beihilferechtliche, krankenversicherungsrechtliche oder juristische Sachkunde besitzt. Dem Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge einschließlich der insoweit notwendigen Aufenthaltsbestimmung, Heimangelegenheiten, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten obliegt es, für einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz des Betreuten zu sorgen. Haftungserleichterungen sieht das Gesetz im Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem grundsätzlich nicht vor. Selbst wenn der Beklagte sich mit seinen Betreuungen aufgrund fehlender Rechtskenntnisse überfordert fühlt, wirkt dies nicht schuldentlastend, da die Verpflichtung besteht, bei einem Kundigen fachlichen Rat einzuholen. (Palandt-Diederichsen, BGB, 71. Aufl., § 1833 Rn 9). Hierzu kann er auf die Beratung der Sozialleistungsträger zurückgreifen. Gerade im vorliegenden Fall bestand aufgrund des Schreibens des Klägers vom 17.04.2008, mit dem hinsichtlich der Krankenversicherung darauf hingewiesen wurde, dass mit der Leistungseinstellung durch die ARGE auch die Pflichtversicherung bei der AOK endet, für den Beklagten erkennbar Handlungsbedarf, zumal der Kläger den Beklagten ausdrücklich auf die Antragstellung auf Aufnahme in die freiwillige Krankenversicherung hingewiesen hat. Auch wenn im genannten Schreiben auf die Dreimonatsfrist zur Antragstellung nicht hingewiesen wurde, hätte hier Veranlassung bestanden, sich um den Fall zu kümmern, zumal der Beklagte hierfür noch über zwei Monate Zeit gehabt hätte. Auch aufgrund seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ist nicht nachvollziehbar, warum er sich nicht erkundigt hat und den entsprechenden Antrag zunächst nicht und dann verspätet gestellt hat.

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4. Die Pflichtverletzung des Beklagten hat ursächlich bewirkt, dass der Betreute nicht freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 9 Abs. Nr. 1 SGB V) und der Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 3 SGB XI) geworden ist. Hierdurch ist ein sozialrechtlicher Schaden eingetreten, weil der Betreute seinen originären Krankenversicherungsschutz verloren hat. Der Umstand, dass der Sozialhilfeträger seitdem gleichwertige Leistungen der Krankenversicherung durch das Verfahren nach § 264 SGB V gewährleistet, hindert die Annahme eines sozialrechtlichen Nachteils durch den Verlust des originären Versicherungsschutzes nicht, weil die nachrangigen Sozialhilfeleistungen nur unter der Voraussetzung der Bedürftigkeit des Betreuten im Sinne des SGB XII gewährt werden.

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5. Soweit der Beklagte meint, dass der Bescheid der AOK über die Ablehnung der freiwilligen Mitgliedschaft seines Betreuten ihm hätte zugestellt werden müssen und auf seinen Widerspruch der Beitritt unter dem Gesichtspunkt des sozialversicherungsrechtlichen Herstellungsanspruchs aufgrund des Beratungsfehlers hätte gewährt werden müssen, kann dahinstehen, ob die AOK dem Betreuten gegenüber Auskunfts-, Beratungs- und Hinweispflichten verletzt hat, als sie weder den Betreuer noch den Betreuten auf die geltende Dreimonatsfrist zur Antragstellung hingewiesen hat (zweifelnd Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2007, L 9 KR 167/02 Rn 27 zitiert nach juris). Jedenfalls richtet sich der auch neben einem Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 27 SGB X nach Versäumung der Beitrittsfrist zur freiwilligen Krankenversicherung zulässige sozialrechtliche Herstellungsanspruch auf die Beseitigung von Rechtsnachteilen, die durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln entstanden sind (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.03.2011, L 5 KR 108/10 Rn 14 zitiert nach juris). Damit wäre Anspruchsgegner die AOK und nicht der Kläger.

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Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger im vorliegenden Fall – ungefragt – derartige Hinweispflichten obliegen. Die vom Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Schleswig vom 06.12.2006 (FamRZ 1997, 1427) betrifft einen Schadensersatzanspruch des Betreuten gegen den Betreuer wegen Nichteinlegung eines Widerspruchs gegen einen ablehnenden Sozialhilfebescheid über die Übernahme von Heimunterbringungskosten und ist mit der vorliegenden Fragestellung nicht vergleichbar. Seine Bereitschaft zur Auskunftserteilung hat der Kläger im Schreiben vom 17.04.2008 bekundet. Damit ist er auch seines in §§ 13 – 15 SGB I formulierten Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftsauftrags nachgekommen. Der Beklagte hat von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht. Ein Mitverschulden des Klägers liegt nicht vor.

III.

11
Aus den unter II. genannten Gründen ist die Berufung unbegründet.

12
Der Senat regt daher die Rücknahme der Berufung an. Dies hätte gegenüber der unanfechtbaren Entscheidung des § 522 Abs. 2 ZPO Kostenvorteile.

13
Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme auf diesen Hinweis von vier Wochen.

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