BGH, Beschluss vom 28.05.2014 – XII ZB 705/13
a) Dass eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen eingerichtet oder verlängert wird, begründet für sich genommen noch nicht die Notwendigkeit, einen Verfahrenspfleger zu bestellen (Abgrenzung zu Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 – XII ZB 19/11 – FamRZ 2011, 1577).
b) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist in der Regel erforderlich, wenn der Verfahrensgegenstand eine Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 4. August 2010 – XII ZB 167/10 – FamRZ 2010, 1648 und vom 7. August 2013 – XII ZB 223/13 – FamRZ 2013, 1648).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 26. November 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe
I.
Für die heute 59jährige Betroffene, die an einer leichten intellektuellen Beeinträchtigung vom Ausmaß einer Lernbehinderung leidet, wurde nach dem Tod ihres Ehemanns im November 2010 auf ihre Anregung eine rechtliche Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Organisation der Haushaltsführung und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise eingerichtet sowie ein Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge angeordnet. Eine 2012 von der Betroffenen beantragte Aufhebung der Betreuung lehnte das Amtsgericht ab.
Durch Beschluss vom 9. Oktober 2013 hat das Amtsgericht die Betreuung im gleichbleibenden Umfang mit Überprüfungsfrist zum 8. Oktober 2020 verlängert. Die Beschwerde der Betroffenen ist vom Landgericht zurückgewiesen worden. Mit der von ihr eingelegten Rechtsbeschwerde rügt sie vor allem, dass ihr kein Verfahrenspfleger bestellt worden sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg, denn der angefochtene Beschluss beruht auf einem fehlerhaften Verfahren.
1. Nach § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG gelten für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist, wenn sich das Verfahren auf eine Entscheidung über den Fernmeldeverkehr des Betreuten und über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten seiner Post erstreckt (§ 1896 Abs. 4 BGB) oder die Sterilisation des Betreuten zum Gegenstand hat (§ 1905 BGB). Dabei ist nach der Rechtsprechung des Senats aufgrund der Bedeutung des Verfahrensgegenstands die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel schon dann erforderlich, wenn der Verfahrensgegenstand eine Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (Senatsbeschlüsse vom 4. August 2010 – XII ZB 167/10 – FamRZ 2010, 1648 Rn. 11 f.; vom 28. September 2011 – XII ZB 16/11 – FamRZ 2011, 1866 Rn. 9 und vom 7. August 2013 – XII ZB 223/13 – FamRZ 2013, 1648 Rn. 11). Abgesehen von den Regelfällen nach § 276 Abs. 1 Nr. 2 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Senats hängt die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands ab (Senatsbeschlüsse vom 13. November 2013 – XII ZB 339/13 – FamRZ 2014, 192 Rn. 10 und vom 11. Dezember 2013 – XII ZB 280/11 – FamRZ 2014, 378 Rn. 11).
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde begründet der Umstand, dass die Betreuung letztlich gegen den Willen des Betroffenen eingerichtet oder verlängert wird, weil dieser nicht in der Lage ist, einen der Betreuung entgegenstehenden freien Willen nach § 1896 Abs. 1 a BGB zu bilden, für sich genommen noch nicht die Notwendigkeit, einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 (XII ZB 19/11 – FamRZ 2011, 1577 Rn. 8 mwN). Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs kommt es vielmehr darauf an, ob der Betroffene die Möglichkeit hat, seine Interessen gegenüber dem Betreuungsgericht geltend zu machen und seinen Willen kundzutun. Das wird noch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Betroffene – etwa wegen mangelnder Krankheitseinsicht – nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit der Betreuung zu erkennen. Ob in diesem Fall die Bestellung eines Verfahrenspflegers zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen notwendig ist, hängt vielmehr von den weiteren Umständen, insbesondere vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands ab (Senatsbeschlüsse vom 13. November 2013 – XII ZB 339/13 – FamRZ 2014, 192 Rn. 10 und vom 11. Dezember 2013 – XII ZB 280/11 – FamRZ 2014, 378 Rn. 11). Je weniger der Betroffene in der Lage ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen, je eindeutiger erkennbar ist, dass die geplanten Betreuungsmaßnahmen gegen seinen natürlichen Willen erfolgen und je schwerer und nachhaltiger der beabsichtigte Eingriff in die Rechte des Betroffenen ist, umso eher ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 – XII ZB 280/11 – FamRZ 2014, 378 Rn. 11 mwN).
2. Nach den genannten Grundsätzen war im vorliegenden Fall die Bestellung eines Verfahrenspflegers notwendig.
Die verlängerte und vom Umfang her beibehaltene Betreuung bezieht sich auf die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Organisation der Haushaltsführung und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise sowie den Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge. Damit handelt es sich um eine umfassende Betreuung im Sinne der oben genannten Senatsrechtsprechung.
Die Begründung dafür, dass von einer Verfahrenspflegerbestellung abgesehen worden ist, ist unzutreffend. Das Amtsgericht hat in seinem Beschluss darauf abgestellt, dass aufgrund der durchgeführten Ermittlungen die Betreuungsbedürftigkeit für die angeordneten Wirkungskreise und die Geeignetheit des Betreuers offenkundig seien. Diese Gründe tragen ein Absehen von der Verfahrenspflegerbestellung nicht, weil es auf die Offenkundigkeit insoweit nicht ankommt und die Verfahrenspflegerbestellung gerade auch in diesem Fall das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisten soll. Dem Beschluss des Landgerichts mangelt es gänzlich an einer Begründung.
3. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil sich nicht ausschließen lässt, dass nach Bestellung und Anhörung des Verfahrenspflegers eine andere Entscheidung veranlasst ist. Ob das Landgericht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen durfte, bedarf keiner Entscheidung. Aufgrund der gebotenen Verfahrenspflegerbestellung und des weiteren Zeitablaufs wird das Landgericht nach Zurückverweisung zu prüfen haben, ob es von einer eigenen Anhörung der Betroffenen absehen kann.