BGH, Beschluss vom 22.08.2018 – XII ZB 180/18
Im Verfahren betreffend die Prüfung der Aufhebung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts ist dem Betroffenen unter den Voraussetzungen des § 276 FamFG jedenfalls dann ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn das Gericht in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen eintritt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 XII ZB 19/11 FamRZ 2011, 1577).
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 12. März 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
Für den Betroffenen wurde erstmals im Jahr 2005 eine rechtliche Betreuung eingerichtet. Zuletzt verlängerte das Amtsgericht die Betreuung nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S. vom 27. Oktober 2014 durch Beschluss vom 12. Januar 2015 mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vertretung vor Ämtern und Behörden, Kranken- und Pflegekassen, Vermögenssorge einschließlich der Entscheidung über die Entgegennahme und das Öffnen der Post und bestimmte eine Überprüfungsfrist auf den 12. Januar 2022. Ferner ordnete es an, dass der Betroffene „zu Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis betreffen“, weiterhin der Einwilligung seines Betreuers bedarf. Am 3. Juli 2016 erstattete der Sachverständige Dr. S. ein weiteres psychiatrisches Sachverständigengutachten im Zusammenhang mit einem – später nicht mehr weiterverfolgten – Antrag des Betreuers auf Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung.
Der Betroffene hat mehrfach mündlich und schriftlich um die Aufhebung seiner Betreuung gebeten. Das Amtsgericht hat am 3. März 2017 die Einholung eines neuen Gutachtens angeordnet, welches von der Sachverständigen Dr. S.-M. am 3. September 2017 erstattet worden ist. Nach Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht den Antrag auf Aufhebung der Betreuung durch Beschluss vom 1. März 2018 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht durch Beschluss vom 12. März 2018 zurückgewiesen.
Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene weiterhin die Aufhebung seiner Betreuung.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass der Betroffene an einer Lernbehinderung bei Intelligenzminderung und zudem an einer schweren psychischen Störung mit ausgeprägten paranoiden und querulatorischen Zügen leide. Er sei nicht in der Lage, die für und wider eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen, so dass die Ablehnung der Betreuung durch den Betroffenen nicht auf einem freien Willen beruhe. Die fachliche Qualifikation des für den Betroffenen bestellten Berufsbetreuers stehe außer Frage. Auch die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts lägen nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. S. und Dr. S.-M. sowie nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht vor.
2. Die Entscheidung hält bereits den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese beanstandet zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers verfahrensfehlerhaft unterblieben ist. Soweit im Rubrum der beiden vorinstanzlichen Entscheidungen Rechtsanwalt S. als Verfahrenspfleger aufgeführt ist, handelt es sich um den im abgeschlossenen Verlängerungsverfahren aus dem Jahr 2015 tätig gewesenen Verfahrenspfleger, der im vorliegenden Aufhebungsverfahren weder bestellt noch beteiligt worden ist.
a) Einen Antrag oder eine Anregung auf Aufhebung der Betreuung kann das Gericht nur unter Beachtung der für das Betreuungsverfahren geltenden Verfahrensvorschriften der §§ 272 bis 277 FamFG – in Verbindung mit den Regelungen des allgemeinen Teils – ablehnen (vgl. Keidel/Budde FamFG 19. Aufl. § 294 Rn. 1; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 4. Aufl. § 294 Rn. 8). Dabei wird auch im Aufhebungsverfahren die Bestellung eines Verfahrenspflegers zu prüfen sein, wenn das Gericht in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen eintritt (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 – XII ZB 19/11 – FamRZ 2011, 1577 Rn. 9; vgl. auch Senatsbeschluss vom 24. August 2016 – XII ZB 531/15 – FamRZ 2016, 1922 Rn. 10). Dies ist hier der Fall gewesen, zumal sich das Gericht bei seinen Ermittlungen nicht einmal auf die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des in den Vorverfahren tätig gewesenen Sachverständigen Dr. S. beschränkt, sondern eine umfassende Neubegutachtung des Betroffenen durch eine andere psychiatrische Sachverständige angeordnet hat.
b) Das Beschwerdegericht hätte deshalb prüfen müssen, ob die Voraussetzungen des § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG für die Bestellung eines Verfahrenspflegers vorliegen.
aa) Zwar begründet allein der Umstand, dass die Betreuung gegen den Willen des Betroffenen fortgeführt werden soll, weil dieser – weiterhin – nicht in der Lage ist, einen der Betreuung entgegenstehenden freien Willen (§ 1896 Abs. 1a BGB) zu bilden, für sich genommen noch nicht die Notwendigkeit, einen Verfahrenspfleger zu bestellen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Mai 2014 – XII ZB 705/13 – FamRZ 2014, 1446 Rn. 5). Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung die Möglichkeit hat, seine Interessen gegenüber dem Betreuungsgericht sachgerecht zur Geltung zu bringen, was – wenn keiner der in § 276 Abs. 1 Satz 2 FamFG aufgeführten gesetzlichen Regelfälle vorliegt – von verschiedenen Umständen, insbesondere vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands abhängt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. November 2013 – XII ZB 339/13 – FamRZ 2014, 192 Rn. 10 mwN.).
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist in der Regel erforderlich, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein Einwilligungsvorbehalt für das gesamte Vermögen angeordnet worden ist. Durch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts wird in dessen Geltungsbereich die Möglichkeit des Betroffenen zur eigenverantwortlichen Teilnahme am Rechtsverkehr in stärkerem Maße eingeschränkt als durch die bloße Bestellung eines Betreuers mit einem entsprechenden Aufgabenkreis. Dieser gravierenden Auswirkung des Einwilligungsvorbehalts auf die Freiheitsrechte des Betroffenen ist dadurch Rechnung zu tragen, dass in Verfahren, die einen umfassenden Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten zum Gegenstand haben, für den Betroffenen regelmäßig ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist. Sieht das Gericht gleichwohl von der Bestellung eines Verfahrenspflegers ab, hat es die Gründe dafür entsprechend § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG in seiner Entscheidung darzulegen (Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 577/17 – FamRZ 2018, 1193 Rn. 12). Fehlt diese Begründung, kann das Rechtsbeschwerdegericht weder prüfen, ob das Beschwerdegericht von seinem Ermessen bezüglich der Bestellung eines Verfahrenspflegers überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob seine Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist (Senatsbeschluss vom 17. Mai 2017 – XII ZB 546/16 – FamRZ 2017, 1322 Rn. 7). Bereits dies gebietet die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
bb) Dass im vorliegenden Fall die Bestellung eines Verfahrenspflegers nach § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG nahegelegen hätte, erschließt sich im Übrigen auch daraus, dass das Gericht dem Betroffenen schon in den beiden Verlängerungsverfahren aus den Jahren 2007 und 2015 einen Verfahrenspfleger zur Seite gestellt hat.
3. Auch in der Sache kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben, soweit das Beschwerdegericht die Aufhebung des Einwilligungsvorbehalts (§ 1903 Abs. 1 BGB) abgelehnt hat. Selbst bei einem umfangreichen Vermögen des Betreuten darf ein Einwilligungsvorbehalt nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Mai 2018 – XII ZB 577/17 – FamRZ 2018, 1193 Rn. 16 und vom 7. Dezember 2016 – XII ZB 458/15 – FamRZ 2017, 474 Rn. 25). Der Hinweis des Beschwerdegerichts auf den Inhalt der Sachverständigengutachten vermag im vorliegenden Fall eine weitergehende Begründung für den Fortbestand des Einwilligungsvorbehalts schon deshalb nicht zu ersetzen, weil gerade die Sachverständige Dr. S.-M. in ihrem Gutachten explizit darauf hingewiesen hat, dass ein weiterer Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten nur dann in Betracht komme, wenn sich „Hinweise auf [eine] weiter bestehende Tendenz zu unvernünftigen Rechtsgeschäften“ ergäben. Hierzu fehlt es bislang an tragfähigen tatsächlichen Feststellungen.
4. Die weitere Verfahrensrüge im Zusammenhang mit der Frage, ob das Gutachten der Sachverständigen Dr. S.-M. vom 3. September 2017 den Anforderungen des § 280 FamFG genügt, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.