Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme

BGH, Beschluss vom 13. September 2017 – XII ZB 185/17

Die Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme setzt gemäß § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB voraus, dass zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2. September 2015, XII ZB 226/15, FamRZ 2015, 2050 mwN).(Rn.6)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 17. Februar 2017 und der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 15. März 2017, soweit es jeweils die Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmaßnahme betrifft, ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe
I.

1
Der Betroffene begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch Zeitablauf erledigten Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.

2
Er war seit dem 3. Dezember 2016 öffentlich-rechtlich untergebracht, nachdem er sich der Räumung seines in einer Gartenlaube befindlichen Behelfs-Domizils widersetzt hatte, indem er mit Fäkalien um sich warf. Nach fachpsychiatrischem Gutachten leidet er unter einer paranoid wahnhaften Störung mit florider psychotischer Symptomatik und Handlungsrelevanz.

3
Am 17. Februar 2017 hat das Amtsgericht auf Antrag der zwischenzeitlich bestellten Betreuerin ihre Einwilligung in die weitere zivilrechtliche Unterbringung für zwölf Wochen sowie die Zwangsbehandlung unter Verantwortung und Dokumentation eines Arztes mit einem näher bezeichneten Medikament für annähernd sechs Wochen genehmigt. Das Landgericht hat den Betroffenen im Beisein der Verfahrenspflegerin erneut angehört und seine Beschwerde gegen die Genehmigungen der Unterbringung und Zwangsbehandlung zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG statthaft und auch ansonsten zulässig. Sie ist auch begründet, weil die Entscheidungen von Amts- und Landgericht den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Dies ist nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 – XII ZB 330/13FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) festzustellen.

5
1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Instanzgerichte die Genehmigung zur Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ausgesprochen haben, ohne einen vorherigen Überzeugungsversuch ausreichend darzulegen.

6
Eine Zwangsmaßnahme ist nur dann gemäß § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2015 – XII ZB 226/15FamRZ 2015, 2050 Rn. 26 mwN).

7
Dieser Anforderung werden die angefochtenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts verhält sich überhaupt nicht zur Frage eines Überzeugungsversuchs, während der erstinstanzliche Beschluss lediglich den nicht näher konkretisierten Hinweis enthält, dass versucht worden sei, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Diese pauschale Angabe genügt als nachvollziehbare Darlegung nicht.

8
2. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der – hier durch Zeitablauf – erledigten Maßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Gleiches gilt für die Genehmigung der ärztlichen Zwangsbehandlung des Betroffenen gegen seinen natürlichen Willen (st. Rspr. des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 – XII ZB 600/14FamRZ 2015, 1706 Rn. 14 f. mwN).

9
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

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