LG Kassel, Beschluss vom 09. August 2018 – 3 T 400/18
Bei bestehender Betreuung können ärztliche Zwangsmaßnahmen (hier Zwangsernährung) nur auf der Grundlage von § 1906a BGB genehmigt/angeordnet werden. Hat das Amtsgericht – trotz bestehender Betreuung – eine zwangsweise Ernährung nach § 20 PsychKHG angeordnet, ist es dem Beschwerdegericht untersagt, die Berechtigung der Maßnahme anhand von § 1906a BGB zu prüfen. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Verfahren, und ein Wechsel vom einem Verfahren in das andere ist dem Beschwerdegericht nicht gestattet. Liegen die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 20 PsychKHG – hier mangels geschlossener Unterbringung des Betroffenen – nicht vor, ist die auf § 20 Psych-KHG gestützte Maßnahme aufzuheben (Rechtsbeschwerde ist zugelassen).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 31.07.2018 wird aufgehoben.
Die Entscheidung ist sofort wirksam.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
I. Mit Schreiben vom 11.06.2018 (Bl. 1 ff. d.A.) regte die Oberärztin der eingangs bezeichneten gerontopsychiatrischen Krankenstation die Einrichtung einer Betreuung für den Beschwerdeführer mit der Begründung an, dieser leide unter anderem an einer wahnhaften Störung, einer autonomen Funktionsstörung des oberen und unteren Verdauungssystems sowie schließlich einer Essstörung mit Untergewicht (BMI 15,1). Dieser Anregung folgte das Amtsgericht und bestellte durch Beschluss vom 19.06.2018 (Bl. 18 ff. d.A.) die eingangs bezeichnete Berufsbetreuerin unter anderem für die Aufgabenkreise der Sorge für die Gesundheit sowie der Befugnis zur Aufenthaltsbestimmung.
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Mit Schreiben vom 12.07.2018 beantragte die Betreuerin die Genehmigung, den – noch immer in stationärer Behandlung befindlichen – Beschwerdeführer auch gegen seinen Willen medikamentös zu behandeln sowie zwangsweise zu ernähren. Daraufhin genehmigte das Amtsgericht am 15.07.2018 (Bl. 33 ff. d.A.) die Behandlung des Beschwerdeführers mit „…“ bis 15 mg sowie die Zuführung notwendiger Ernährung und Flüssigkeit einschließlich der hierfür erforderlichen ärztlichen Untersuchungen sowie wegen einer PEG Sonde – auch zwangsweise – längstens bis zum 30.07.2018.
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Mit Schreiben vom 24.07.2018 (Bl. 39 d.A.) hat der zuständige Oberarzt der Klinik beantragt, die Fortsetzung der zwangsweisen Ernährung und Medikamentengabe zu genehmigen. Notwendig sei neben der schon bislang genehmigten zwangsweisen Ernährung sowie der Medikation mit „…“ auch die notfalls zwangsweise Verabreichung von näher bezeichneten Vitaminen.
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Nachdem das Amtsgericht die Betreuerin hiervon in Kenntnis gesetzt hatte (vgl. Bl. 39R d.A.), hat diese mit Schreiben vom 31.07.2018, das um die Mittagszeit desselben Tages per Fax bei dem Amtsgericht eingegangen ist, beantragt, die „Verlängerung der künstlichen Ernährung und medikamentösen Zwangsbehandlung“ zu genehmigen.
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Noch am selben Tag – und allem Anschein nach ohne Kenntnis vom Antrag der Betreuerin – hat das Amtsgericht durch (Original-)Beschluss (die Ausfertigung enthält teilweise davon abweichende Angaben) vom 31.07.2018, auf den Bezug genommen wird (Bl. 44 ff. d.A.), durch einstweilige Anordnung vorläufig „die notwendige Behandlung des Betroffenen mit folgenden Medikamenten „…“ bis 15 mg und auf ggf. Zuführung notwendiger Ernährung und Flüssigkeit sowie Vitaminen (Vitamin B, A, C, D)… auch zwangsweise per PEG-Sonde auf Antrag der ärztlichen Leitung eines psychiatrischen Krankenhauses, ihrer Stellvertretungen oder einer/eines der nach § 11, Abs. 2, S. 1 PsychKG bestellten Ärztin/Arztes des psychiatrischen Krankenhauses“ längstens bis zum 14.08.2018 genehmigt.
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Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Unterbringungsmaßnahme auf §§ 1, 9 Abs. 1, 16 PsychKG i.V.m. § 312 S. 1 Nr. 3 FamFG beruhe und zur „Abwendung einer erheblichen Gefahr des Lebens oder einer gegenwärtigen schwerwiegenden gesundheitlichen Schädigung bei der nicht einwilligungsfähigen untergebrachten Person… erforderlich“ sei.
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Tags darauf hat das Amtsgericht die persönliche Anhörung des Beschwerdeführers durch den zuständigen Betreuungsrichter im Beisein der eingangs bezeichneten Verfahrenspflegerin nachgeholt; auf den hierüber gefertigten Vermerk (Bl. 41 d.A.) wird verwiesen.
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Gegen die Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem am 02.08.2018 bei dem Amtsgericht eingegangenen Rechtsmittel (Bl. 49 d.A.).
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Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel am 03.08.2018 (Bl. 50 d.A.) nicht abgeholfen und die Verfahrensakten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
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II. Die nach §§ 58 I, 331 FamFG statthafte Beschwerde wahrt Form und Frist des § 63 II Nr. 1, III FamFG und ist daher zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
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1) Zu Unrecht hat das Amtsgericht seine Entscheidung auf § 9 I 1 PsychKHG gestützt.
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Nach § 9 I i.V.m. § 1 des Hessischen Gesetzes über Hilfen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz – PsychKHG) vom 04.05.2017, das seit dem 01.08.2017 gilt, wird eine Person, die infolge einer psychischen Störung funktionseingeschränkt, krank oder behindert ist oder bei der Anzeichen für eine solche Funktionseinschränkung, Krankheit oder Behinderung bestehen, ohne oder gegen ihren Willen untergebracht, wenn und solange infolge einer psychischen Störung eine erhebliche Gefahr für ihr Leben, ihre Gesundheit oder das Leben, die Gesundheit oder andere bedeutende Rechtsgüter Anderer besteht und nicht anders abgewendet werden kann.
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Danach regeln die von dem Amtsgericht herangezogenen gesetzlichen Bestimmungen allein die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen eine Person freiheitsentziehend untergebracht werden kann. Darum geht es vorliegend indes nicht.
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Auch der Umstand, dass das Amtsgericht ergänzend auf § 16 PsychKG verwiesen hat, vermag die angefochtene Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Diese Bestimmung regelt die Antragsbefugnis der beteiligten Verwaltungsbehörden bzw. der an deren Stelle beteiligten Gesundheitsämter in den dort im einzelnen aufgeführten Verfahren, enthält aber keine materiell-rechtliche Grundlage für die Genehmigung der hier in Rede stehenden ärztlichen Behandlungsmaßnahmen.
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2) Die Voraussetzungen, unter denen nach dem Landesrecht medizinische Untersuchungen und Behandlungen statthaft sind, finden sich vielmehr in § 20 PsychKG.
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Das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31.07.2018 Behandlungsmaßnahmen „auf Antrag der ärztlichen Leitung eines psychiatrischen Krankenhauses, ihrer Stellvertretung oder einer/eines der nach § 11 II 1 PsychKG bestellten Ärztin/Arztes“ genehmigt.
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Diese Formulierung legt – ohne dass es in der angefochtenen Entscheidung unmissverständlich zum Ausdruck kommt – nahe, dass das Amtsgericht eine Entscheidung i.S.v. § 20 V PsychKG hat treffen wollen. Danach bedarf die Anordnung einer Behandlungsmaßnahme nach § 20 I, II PsychKG der Genehmigung des zuständigen Betreuungsgerichts. Dies betrifft erkennbar die in § 20 IV PsychKG geregelten Fallgestaltungen, in denen Behandlungsmaßnahmen durch eine Ärztin oder einen Arzt nach § 11 II 1 PsychKG eingeleitet und überwacht worden sind. Besteht erhebliche Gefahr für das Leben der untergebrachten Person oder einer schwerwiegenden Schädigung ihre Gesundheit, kann von einer – vorherigen – Genehmigung abgesehen werden, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der gefährdeten Person ergeben würden. In diesem Fall ist die Genehmigung unverzüglich einzuholen, wenn die Behandlungsmaßnahme fortgesetzt werden muss.
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Die in diesen gesetzlichen Bestimmungen niedergelegten Voraussetzungen sind aber schon deshalb nicht erfüllt, weil Entscheidungen i.S.v. § 20 PsychKG überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen einer „nicht einwilligungsfähigen untergebrachten Person“ in Betracht kommen. Darum geht es vorliegend nicht. Der Beschwerdeführer befindet sich gegenwärtig nicht auf der Grundlage einer gerichtlichen Unterbringungsentscheidung – sei es nach §§ 9, 17 PsychKG, sei es nach § 1906 BGB – in dem eingangs bezeichneten Krankenhaus.
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3) Ob die in Rede stehende Maßnahme nach näherer Maßgabe von §§ 1906a BGB, 331 FamFG – dem Antrag der Betreuerin entsprechend – zu genehmigen ist, ist der Entscheidungsbefugnis der Kammer aufgrund des von dem Amtsgericht gewählten Verfahrens entzogen.
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a) Allerdings erachtet die Kammer in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Beschluss vom 28.01.2013, BtPrax 2013, S. 72 ff.) die Unterbringung von Betreuten i.S.v. § 1896 BGB allein auf der Grundlage von § 1906 BGB für statthaft. Nichts anderes kann für die hier in Rede stehende Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen i.S.v. § 1906a BGB gelten; denn auch dabei handelt es sich um eine Unterbringungsmaßnahme, vgl. § 312 Nr. 3 FamFG. Ein solches Vorgehen hätte in der vorliegenden Fallgestaltung umso mehr nahegelegen, als die u. a. mit der Sorge für die Gesundheit des Beschwerdeführers betraute Berufsbetreuerin am 31.07.2018 die Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen beantragt hat. Der Umstand, dass diese möglicherweise zwischenzeitlich an der Ausübung ihres Amtes gehindert gewesen ist, hätte einer Entscheidung des Amtsgerichts nicht entgegengestanden, vgl. § 1906a I 2 BGB. Stützt man mit dem Amtsgericht die Entscheidung über die Genehmigung von Behandlungsmaßnahmen trotz eingerichteter Betreuung auf das PsychKG, beraubt man den Betreuer als den gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers, vgl. § 1902 BGB, jeglichen rechtlich relevanten Einflusses auf die Behandlung.
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b) Darauf, ob die zwangsweise Behandlung des Beschwerdeführers deshalb nach näherer Maßgabe von § 1906a BGB hätte genehmigt bzw. – bei Verhinderung der Betreuerin – angeordnet werden können, kommt es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht an.
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Das Amtsgericht hat seine Entscheidung auf Bestimmungen des PsychKG gestützt und damit den Verfahrensgegenstand bestimmt. Eine Überprüfung der in Rede stehenden Maßnahmen anhand von § 1906a BGB – ggfls. i.V.m. § 331 FamFG – ist von diesem Verfahrensgegenstand nicht mehr umfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 16.09.2015 – V ZB 40/15 – zitiert nach Juris, dort Rn. 6-8 zu den Verfahrensgegenständen bei Erlass einer einstweiligen Anordnung einerseits und im Hauptsacheverfahren andererseits).
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Dies ergibt sich zunächst aus § 312 FamFG. Diese Bestimmung listet die Verfahrensgegenstände in Unterbringungssachen auf und nennt Verfahren, die der Genehmigung oder Anordnung (§ 312 Nr. 3 FamFG) einer ärztlichen Zwangsmaßnahme… nach § 1906 a… des Bürgerlichen Gesetzbuchs bzw. (§ 312 Nr. 4 FamFG) der freiheitsentziehenden Unterbringung und einer ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker dienen. Schon aus dieser Gesetzessystematik folgt, dass die genannten Verfahren unterschiedliche Gegenstände betreffen.
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Auch inhaltlich unterscheidet sich das Verfahren über die Genehmigung von Behandlungsmaßnahmen i.S.v. § 20 PsychKG grundlegend von dem Verfahren über die Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen nach § 1906a BGB. Das letztgenannte Verfahren kann grundsätzlich nur auf Antrag des – mit einem entsprechenden Aufgabenkreis ausgestatteten – Betreuers betrieben werden, setzt im Hinblick auf die Regelung in § 1906a I 2 BGB jedenfalls die Bestellung eines entscheidungsbefugten Betreuers voraus. Dieser soll als gesetzlicher Vertreter, § 1902 BGB, den Wünschen des Betreuten Geltung verschaffen, soweit dies nicht dessen Wohl zuwiderläuft, § 1901 BGB. Die in dieser Richtung gebundene Mitwirkung des Betreuers ist bei der Prüfung, ob Behandlungsmaßnahmen nach § 20 PsychKG zu genehmigen sind, hingegen nicht vorgesehen, vielmehr wird ein solches Verfahren entweder durch die zuständige Verwaltungsbehörde, vgl. §§ 51 FamFG, 16 PsychKG, oder auf Veranlassung des nach § 11 II 1 PsychKG bestellten Arztes in Gang gesetzt.
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Ausgehend davon war der Beschwerdekammer die Prüfung verwehrt, ob die Maßnahmen, denen der Beschwerdeführer gegenwärtig unterzogen wird, nach näherer Maßgabe von §§ 1906a BGB, 331 FamFG als ärztliche Zwangsmaßnahmen auf Antrag der Betreuerin zu genehmigen sind.
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Damit war dem Rechtsmittel der Erfolg nicht zu versagen.
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Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit folgt aus § 324 II FamFG.
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Gerichtskosten fallen schon im Hinblick auf den Erfolg des Rechtsmittels nicht an, §§ 22 I, 25 I FamFG. Eine Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten war entbehrlich, weil solche nicht, jedenfalls nicht in nennenswerter Höhe, angefallen sind.
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Gemäß § 70 I, II FamFG war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Frage, ob die Genehmigung von Behandlungsmaßnahmen i.S.v. § 20 PsychKG einen anderen Verfahrensgegenstand als die Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen i.S.v. § 1906a BGB hat, von grundsätzliche Bedeutung ist. Gleiches gilt für den von der Kammer befürworteten Vorrang der Unterbringungsbestimmungen in §§ 1906 f. BGB vor den Regelungen in §§ 9, 17, 20 PsychKG bei bestehender oder zeitgleich mit Erlass der Unterbringungsmaßnahme eingerichteten Betreuung.