Anhörung der Betroffenen in Abwesenheit des Verfahrenspflegers in der Regel verfahrensfehlerhaft

BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 – XII ZB 57/19

Eine Anhörung des Betroffenen im Betreuungsverfahren, die stattgefunden hat, ohne dass der Verfahrenspfleger Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen, ist verfahrensfehlerhaft; etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn das Gericht – wie es in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darzulegen hat – vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht erkennen konnte und aus diesem Grunde daran gehindert war, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – XII ZB 465/17, FamRZ 2018, 705).(Rn.8)(Rn.9)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 4 wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 9. Januar 2019 aufgehoben, soweit er die Auswahl des Betreuers betrifft.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe
I.

1
Das Amtsgericht hat für die 1925 geborene Betroffene nach Verwendung eines angeforderten Pflegegutachtens des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und nach persönlicher Anhörung eine rechtliche Betreuung eingerichtet. Es hat den Beteiligten zu 3 zum Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über Entgegennahme, Öffnen und Anhalten von Post, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Vertretung in Heimangelegenheiten sowie Widerruf von Vollmachten bestellt. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 4 hat das Landgericht ohne erneute Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 4.

II.

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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

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1. Die Rechtsbeschwerde beschränkt sich auf die Frage der Auswahl des Betreuers. Denn die Beteiligte zu 4 hatte sich schon mit ihrer Erstbeschwerde weder gegen die Einrichtung noch gegen den Umfang der Betreuung gewendet. Ihre Beschwerde war in der Sache allein auf die Betreuerauswahl beschränkt, was eine zulässige Teilanfechtung der die Betreuungserrichtung und die Betreuerbestellung umfassenden Einheitsentscheidung darstellt (Senatsbeschlüsse vom 9. Mai 2018 – XII ZB 553/17FamRZ 2018, 1192 Rn. 9 und vom 25. März 2015 – XII ZB 621/14FamRZ 2015, 1178 Rn. 10 mwN).

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2. Das Beschwerdegericht hat das Folgende ausgeführt: Bei der Auswahl des Betreuers sei zwar grundsätzlich auf verwandtschaftliche oder persönliche Beziehungen Rücksicht zu nehmen. Weil die Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung nach der aktuellen Einschätzung der Verfahrenspflegerin keinen eigenständigen positiven Vorschlag zur Person des Betreuers mehr aussprechen könne, sei ausschließlich das Wohl der Betroffenen bei der Auswahl des Betreuers maßgeblich. Eine gemeinsame Betreuung durch die beiden zerstrittenen Töchter der Betroffenen – die Beteiligte zu 4 und die Beteiligte zu 5 – scheide aus, weil die Beteiligte zu 5 dies ablehne. Eine Betreuung nur durch die Beteiligte zu 5, die an sich aufgrund ihrer räumlichen Nähe zum Aufenthaltsort der Betroffenen zur Führung der Betreuung geeigneter sei, werde von der Beteiligten zu 4 abgelehnt. Es bestünde angesichts der unlösbaren Zerstrittenheit der beiden Schwestern zudem die Gefahr, dass die Beteiligte zu 4 ihre Kontakte zu ihrer Mutter nicht mehr in dem bisherigen Maße ausüben könnte. Im umgekehrten Fall würde das Gleiche gelten, wenn die Beteiligte zu 4 zur alleinigen Betreuerin ihrer Mutter bestellt werden würde. Bei dieser Konstellation sei es zwingend, eine neutrale Person als Betreuer einzusetzen. An der Eignung des Berufsbetreuers bestünden keine Zweifel.

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3. Die Entscheidung hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese rügt zu Recht, dass das Landgericht nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen hätte absehen dürfen.

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a) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (Senatsbeschluss vom 21. November 2018 – XII ZB 57/18FamRZ 2019, 387 Rn. 5 mwN).

7
b) Die persönliche Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht ist in Abwesenheit der – erst nachträglich bestellten – Verfahrenspflegerin erfolgt. Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde zu Recht als verfahrensfehlerhaft.

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aa) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll – wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist – nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden. Der Verfahrenspfleger ist vom Gericht daher im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – XII ZB 465/17FamRZ 2018, 705 Rn. 7 mwN).

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bb) Es gilt nur dann ausnahmsweise etwas anderes, wenn das Gericht vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht erkennen konnte und aus diesem Grunde daran gehindert war, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Davon ist dann auszugehen, wenn zunächst keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Betroffene für die Wahrnehmung seiner Rechte die Hilfe eines Verfahrenspflegers benötigt, und das Gericht erst im Rahmen der Anhörung aus dem persönlichen Eindruck von dem Betroffenen die Erkenntnis gewonnen hat, dass dieser seine Interessen nicht ausreichend vorzubringen vermag. In diesen Fällen ist die bereits durchgeführte Anhörung zwar nicht verfahrensordnungswidrig erfolgt. Wie in anderen Fällen der unfreiwilligen Abwesenheit eines Verfahrenspflegers beim Anhörungstermin muss die Anhörung des Betroffenen bei nachträglicher Bestellung eines Verfahrenspflegers aber dann wiederholt werden, wenn der Verfahrenspfleger dies verlangt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – XII ZB 465/17FamRZ 2018, 705 Rn. 8).

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Hat der nachträglich bestellte Verfahrenspfleger – wie hier – keine Wiederholung der Anhörung verlangt und will das Gericht von einer neuerlichen Anhörung des Betroffenen in Gegenwart des Verfahrenspflegers absehen, muss es allerdings grundsätzlich begründen, warum es vor der Anhörung des Betroffenen keine genügende Veranlassung zur Bestellung eines Verfahrenspflegers gesehen hat. Denn nur dann kann nachgeprüft werden, ob die Anhörung ohne vorherige Bestellung eines Verfahrenspflegers verfahrensordnungsgemäß gewesen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – XII ZB 465/17FamRZ 2018, 705 Rn. 9).

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cc) Gemessen daran ist die Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft erfolgt.

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Es ist weder in den Entscheidungsgründen dargelegt noch aufgrund der Aktenlage ersichtlich, warum keine Veranlassung zur Bestellung eines Verfahrenspflegers vor der persönlichen Anhörung der Betroffenen bestanden haben könnte. Das Betreuungsverfahren wurde im Oktober 2017 auf eine Anregung der Beteiligten zu 5 eingeleitet, die sich auf die fehlende Akzeptanz der ihr erteilten Vorsorgevollmacht bei der Sparkasse berief. Bei dieser Sachlage konnte zwar zunächst noch davon ausgegangen werden, dass sich der Verfahrensgegenstand auf die Einrichtung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge beschränken ließe. Demgegenüber wies die Betreuungsbehörde in ihrem Bericht vom 2. Januar 2018 auf die massiven Streitigkeiten zwischen den beiden Töchtern der Betroffenen hin und regte die Einrichtung einer umfassenden Betreuung mit einem Aufgabenkreis an, der alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung der Betroffenen abdecken sollte (Widerruf von Vollmachten, Aufenthaltsbestimmung, Behördenangelegenheiten, Heimangelegenheiten, Postangelegenheiten, Gesundheitssorge und Vermögenssorge). Bereits daraus ließen sich schon vor der persönlichen Anhörung der Betroffenen am 22. März 2018 hinreichende Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass bezüglich der Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers von einem Regelfall nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ausgegangen werden könnte.

13
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat noch auf das Folgende hin:

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a) Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht mehr dazu in der Lage ist, einen nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB betreuungsrechtlich relevanten Vorschlag für die Auswahl des Betreuers zu unterbreiten. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird vielmehr hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 57/17FamRZ 2017, 1612 Rn. 17 mwN). Die Betroffene hat in der mündlichen Anhörung durch das Amtsgericht angegeben, dass die Beteiligte zu 4 ihre Betreuerin werden solle. Hätte das Beschwerdegericht die Betroffene persönlich angehört, hätte es möglicherweise andere Erkenntnisse dazu gewonnen, ob dieser Betreuervorschlag der Betroffenen ihrem ernsthaften und von natürlichem Willen getragenen Wunsch entspricht.

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b) Die Vorschrift des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Solche Umstände können sich nicht nur aus der fehlenden persönlichen Eignung der vorgeschlagenen Person, sondern grundsätzlich auch aus familiären Spannungen ergeben, welche die Bestellung der gewünschten Person als Betreuer hervorrufen würde. Die Bestellung eines Familienangehörigen, den der Betroffene als Betreuer wünscht, kann deshalb auch dann mit dem Wohl des Betroffenen unvereinbar sein, wenn dieser entweder persönlich unter den Spannungen seiner Familienangehörigen leidet oder wenn die Regelung seiner wirtschaftlichen oder sonstigen Verhältnisse wegen der Spannungen innerhalb der Familie nicht gewährleistet ist (vgl. BayObLG FamRZ 2004, 976 f.). Für eine solche Würdigung reichen die bislang getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht aus.

16
5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

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