BGH, Beschluss vom 26.02.2014 – XII ZB 577/13
Zur Fähigkeit des Betroffenen, einen freien Willen über die Einrichtung einer Betreuung zu bilden.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 26. September 2013 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Beschwerdewert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Die 60jährige Betroffene leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung bei gegenwärtig leichter Episode mit somatischem Syndrom. Ihr geschiedener Ehemann betreibt die Teilungsversteigerung eines im gemeinsamen Eigentum beider stehenden, mit einem Doppelhaus bebauten Grundstücks, dessen eine Hälfte die Betroffene bewohnt, während die andere Doppelhaushälfte leer steht. Den hiergegen gerichteten Antrag der Betroffenen auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 765 a ZPO wies das Amtsgericht als unbegründet zurück. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens angenommen, dass die Betroffene wegen einer psychischen Erkrankung im Hinblick auf das Teilungsversteigerungsverfahren nicht prozessfähig sei, und die Sachentscheidung zurückgestellt, bis das Verfahren durch einen Betreuer aufgenommen sei. Zugleich hat es die Einleitung des Betreuungsverfahrens angeregt.
Das Notariat – Betreuungsgericht – hat daraufhin für die Betroffene eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in dem Teilungsversteigerungsverfahren und in den damit im Zusammenhang stehenden Beschwerdeverfahren angeordnet und die Beteiligte zu 2 zur Berufsbetreuerin bestellt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Betroffene, die ihre psychische Erkrankung nicht in Abrede stelle, sei unbeirrbar darauf fixiert, im noch anhängigen familiengerichtlichen Verfahren einen hohen Ausgleichsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann sowie die Aufhebung des aus ihrer Sicht unberechtigten Teilungsversteigerungsverfahrens zu erreichen. Dabei sei sie nicht mehr in der Lage, zwischen den einzelnen Verfahren zu unterscheiden, und allein von dem Gedanken beseelt, ihrem geschiedenen Ehemann unredliches und schikanöses Verhalten nachzuweisen. Sie habe sich auch nicht damit auseinanderzusetzen vermocht, dass es unabhängig von dem Konflikt mit dem geschiedenen Ehemann im Betreuungsverfahren allein darum gehe, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Sie sehe in jeder Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsversteigerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung. Damit im Einklang stehe auch der Umstand, dass sie nach eigenen Angaben bislang fünf Rechtsanwälte beauftragt, das Mandat aber wegen unzureichender Unterstützung und Wahrung ihrer Interessen wieder entzogen habe. Zwar habe sich eine wahnhafte Störung oder affektive Psychose, wie vom Gutachter im Teilungsversteigerungsverfahren angenommen, nicht sicher erhärten lassen, jedoch eine rezidivierende depressive Störung mit somatischem Syndrom.
Der Betreuung stehe auch nicht entgegen, dass diese in erster Linie dem Zweck diene, das Teilungsversteigerungsverfahren weiterführen zu können. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes gebiete es, der Partei eines gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit einzuräumen, ihre Forderung auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen. Um die erforderliche ordnungsgemäße Vertretung der prozessunfähigen Partei im Prozess zu gewährleisten, bedürfe es der Bestellung eines Betreuers. Andernfalls befände sich das Teilungsversteigerungsverfahren in einem nicht hinnehmbaren Schwebezustand. Eine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Betroffenen sei im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung nicht mehr gegeben; insoweit sei ihr Wille unfrei.
2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann.
Nach den getroffenen Feststellungen ist die Betroffene nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in Bezug auf das Teilungsversteigerungsverfahren selbst zu besorgen, und bedarf insoweit der Betreuung.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hängt der Betreuungsbedarf nicht davon ab, ob Prozessunfähigkeit für das Teilungsversteigerungsverfahren angenommen werden kann. Denn selbst wenn die von der Betroffenen in dem Verfahren abgegebenen Erklärungen als wirksam erachtet werden müssten, ist ihr Denken diesbezüglich eingeengt und bedarf deshalb der Unterstützung durch einen Betreuer. Die Betreuerbestellung dient nämlich nicht nur der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, der es gebietet, dem Prozessgegner die Möglichkeit einzuräumen, seine Ansprüche auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 – XII ZB 326/10 – FamRZ 2011, 465 Rn. 11 mwN), sondern auch dazu, der Betroffenen bei der Stellung eigener Schutzanträge zur Seite zu stehen.
b) Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf ein Betreuer allerdings nicht bestellt werden (§ 1896 Abs. 1 a BGB).
aa) Ob der Betroffene in der Lage ist, einen freien Willen hinsichtlich der Einrichtung der Betreuung zu bilden, bedarf einer eigenen tatrichterlichen Prüfung. Denn die Bestellung eines Betreuers gegen den freien Willen des Betroffenen verletzt sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10 – FamRZ 2011, 630 Rn. 4; BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rn. 43).
Die Prüfung, ob ein freier Wille entgegensteht, ist auch dann vorzunehmen, wenn die Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11 – FamRZ 2012, 869 Rn. 19). Denn jeder hat das Recht, sein Leben nach seinen frei gebildeten Vorstellungen zu gestalten, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Ist Letzteres nicht der Fall, hat der Staat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Eine Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stellt einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu beseitigen ist (BT-Drucks. 15/2494 S. 28).
bb) Der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB ist, wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2001 – XII ZB 526/10 – FamRZ 2011, 630 Rn. 7), im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln.
Einsichtsfähigkeit im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Erforderlich ist sein Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss dabei Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können.
Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10 – FamRZ 2011, 630 Rn. 8).
Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn der Betroffene imstande ist, nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen.
cc) Den krankheitsbedingten Mangel des freien Willens hat das sachverständig beratene Gericht festzustellen. Die tatrichterliche Beurteilung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat, von ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt wurden und er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat.
dd) Rechtserhebliche Mängel der vorbezeichneten Art liegen hier nicht vor.
Das Landgericht ist in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass die Betroffene nicht mehr in der Lage sei, ihren Willen, was das Teilungsversteigerungsverfahren betrifft, frei zu bilden. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung könne sie zwischen den einzelnen Verfahren nicht mehr unterscheiden, sondern sehe in jeder Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsversteigerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung.
Damit fehlt es, selbst wenn die Betroffene imstande sein sollte, Grund, Bedeutung und Tragweite der Betreuung intellektuell zu erfassen, jedenfalls an ihrer Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung. Denn nach den getroffenen Feststellungen vermag sich die Betroffene nicht damit auseinanderzusetzen, dass es im Betreuungsverfahren allein darum geht, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Das Landgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Betroffene nicht imstande ist, die sich aus einer möglichen Einsicht ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen und ihr Wille deshalb nicht nur in Bezug auf das Teilungsversteigerungsverfahren als solches, sondern auch in Bezug auf die Einrichtung der Betreuung unfrei ist.