Zweifel an Redlichkeit eines Vorsorgebevollmächtigten können Betreuerbestellung rechtfertigen

BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – XII ZB 584/10

1. Eine vom Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht hindert die Bestellung eines Betreuers nur, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010, XII ZB 165/10, FamRZ 2011, 285 Rn. 11) (Rn.14).

2. Eine Vorsorgevollmacht steht der Anordnung der Betreuung auch dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte als zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen nicht tauglich erscheint, namentlich erhebliche Zweifel an seiner Redlichkeit im Raum stehen. In diesem Fall genügt die Einsetzung eines Kontrollbetreuers gemäß § 1896 Abs. 3 BGB regelmäßig nicht (Rn.15) (Rn.26).

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Weiden i. d. OPf. vom 14. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe
I.

1
Die Betroffene wendet sich mit ihrer Rechtsbeschwerde gegen die Einrichtung der Betreuung.

2
Die 1922 geborene Betroffene erteilte zunächst im Jahr 2003 den Beteiligten zu 3 und 4 und später – unter anderem am 4. Januar 2010 – dem Beteiligten zu 1 eine Vorsorgevollmacht. Die Beteiligten zu 3 und 4 wollen die Vollmacht wegen der Ablehnung und des Misstrauens, das ihnen von der Betroffenen entgegen gebracht wird, nicht wahrnehmen.

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Das vom Betreuungsgericht auf Anregung der Betreuungsstelle eingeholte Sachverständigengutachten ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Betroffene an einer fortgeschrittenen Demenz leide, weshalb sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung für den Beteiligten zu 1 nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei. Im anschließenden Anhörungstermin hat der Beteiligte zu 1 eine auf ihn ausgestellte notarielle Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung vom 10. März 2010 vorgelegt, ausweislich derer die Betroffene zum Zeitpunkt der Errichtung der Vollmacht „voll geschäftsfähig“ gewesen sei.

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Das Amtsgericht hat für die Betroffene eine Betreuung für alle Angelegenheiten inklusive Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post angeordnet und den Beteiligten zu 1 als Betreuer bestellt. Zudem hat es die Beteiligte zu 2 zur weiteren Betreuerin mit den Aufgabenkreisen „Abschluss eines Pflege- und Dienstleistungsvertrages“ mit dem Beteiligten zu 1 sowie „Gegenbetreuung für den Aufgabenkreis Vermögenssorge“ bestellt.

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Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Den Beteiligten zu 1 hat es als Betreuer entlassen und für ihn einen anderen Betreuer bestellt. Schließlich hat es die Aufgabenkreise geändert.

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Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

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Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

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2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

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a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung zur Anordnung der Betreuung damit begründet, dass die Betroffene geschäftsunfähig und in vollem Umfang betreuungsbedürftig sei. Die Betroffene habe bei beiden Anhörungen durch das Beschwerdegericht einen „bedauernswerten Eindruck“ hinterlassen. Sie sei nicht einmal zu ihren persönlichen Verhältnissen hinreichend orientiert. Das Beschwerdegericht habe aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Betroffenen nicht die geringsten Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens des Sachverständigen, der die Betroffene zum Untersuchungszeitpunkt im April 2010 ebenfalls sichtlich überfordert, völlig desorientiert und ratlos erlebt habe. Diese Diagnose und die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass die Betroffene bereits zum Zeitpunkt 4. Januar 2010 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geschäftsunfähig gewesen sei, beruhe nicht nur auf den Untersuchungsergebnissen des Sachverständigen, sondern ergebe sich auch aus den beigezogenen Befundberichten zweier Kliniken sowie des behandelnden Hausarztes. Letzterer habe zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung eine Demenzerkrankung der Betroffenen seit ca. einem halben Jahr bekundet. Nicht nachvollziehbar sei, insbesondere auch aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Betroffenen bei beiden Anhörungen, wie der beurkundende Notar am 10. März 2010 zu der Annahme einer „vollen Geschäftsfähigkeit“ der Betroffenen gelangen und an diesem Tag nicht nur eine Vorsorgevollmacht mit Patientenverfügung, sondern zudem noch ein Testament der Betroffenen habe beurkunden können.

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Letztlich sei es allerdings nicht entscheidend, ob die Vorsorgevollmachten wegen Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen unwirksam seien, wovon die Kammer überzeugt sei, und ob eine weitere Vorsorgevollmacht mit Datum 17. Mai 2009 tatsächlich an diesem Tag erstellt worden sei – was nach Auffassung der Kammer nicht der Fall sei. Die Betreuung sei schon deshalb aufrecht zu erhalten, weil die 2003 von der Betroffenen bevollmächtigten Beteiligten zu 3 und 4 – momentan – von der erteilten Vorsorgevollmacht keinen Gebrauch machen wollten und weil massive Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Beteiligte zu 1 die Vorsorgevollmacht vom 17. Mai 2009 missbrauche. Er sei bei seiner Anhörung sichtlich in Verlegenheit und Erklärungsnot geraten, als er auf den Versuch angesprochen worden sei, einen Betrag von 15.000 € vom Konto der Betroffenen abzuheben. Eine Reihe von Unregelmäßigkeiten auf Seiten des Beteiligten zu 1 kennzeichneten auch das parallele Betreuungsverfahren für den Sohn der Betroffenen, zu dessen Ersatzbetreuer der Beteiligte zu 1 bestellt worden sei. Unter Würdigung aller Umstände sei davon auszugehen, dass die Betroffene unter dem Einfluss des Beteiligten zu 1 stehe und dass dieser ein erheblich gesteigertes Interesse an den Vermögenswerten der Betroffenen habe, was diese aufgrund ihrer Situation nicht mehr erkennen und überblicken könne. Deshalb sei es zwingend erforderlich, sowohl die Betreuung aufrecht zu erhalten als auch den Beteiligten zu 1 umgehend zu entlassen und andere Betreuer für die Betroffene einzusetzen.

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b) Die angegriffene Entscheidung hält einer rechtlichen Überprüfung stand.

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aa) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht die Einrichtung der Betreuung für erforderlich gehalten hat, obwohl Vorsorgevollmachten der Betroffenen vorliegen.

14
(1) Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). Eine Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheit des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine vom Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht hindert die Bestellung eines Betreuers aber nur, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 – XII ZB 165/10FamRZ 2011, 285 Rn. 11).

15
Eine Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers allerdings auch dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründen. Dies ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint (KG FamRZ 2010, 924, 925; OLG Zweibrücken OLGR 2006, 729, 730; Palandt/Diederichsen BGB 70. Aufl. § 1896 Rn. 12 mwN).

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Dabei entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschlüsse BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 29 mwN und vom 15. Dezember 2010 – XII ZB 165/10FamRZ 2011, 285 Rn. 13).

17
(2) Gemessen hieran ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht die Anordnung der Betreuung für erforderlich gehalten hat.

18
Dass die Betroffene Hilfe bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten benötigt, stellt auch die Rechtsbeschwerde nicht in Frage. Ihr Angriff, im Hinblick auf die dem Beteiligten zu 1 erteilte Vorsorgevollmacht bestehe kein Betreuungsbedarf, geht indessen fehl.

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Das Beschwerdegericht hat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung im Einzelnen dargetan, warum die Vorsorgevollmacht seiner Auffassung nach der Anordnung der Betreuung nicht entgegensteht.

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Dass es sich dabei nicht an der – den Beteiligten zu 3 und 4 erteilten – Vorsorgevollmacht aus dem Jahr 2003 gehindert gesehen hat, ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil diese – jedenfalls gegenwärtig – die Vollmacht nicht wahrnehmen wollen (vgl. Palandt/Diederichsen BGB 70. Aufl. § 1896 Rn. 12).

21
Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht eine Betreuung trotz der dem Beteiligten zu 1 erteilten Vorsorgevollmachten als erforderlich erachtet hat.

22
Ob die Einrichtung der Betreuung bereits deshalb erforderlich war, weil die Vorsorgevollmachten wegen Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen unwirksam gewesen sein könnten, wofür vieles sprechen mag, kann indes dahingestellt bleiben. Denn das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Ergebnis maßgeblich damit begründet, es bestünden „massive Anhaltspunkte“ für einen Vollmachtsmissbrauch durch den Beteiligten zu 1. Dabei hat das Beschwerdegericht, das sowohl den Beteiligten zu 1 als auch die Betroffene persönlich angehört hat, im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt, wie es zu dieser Einschätzung gelangt ist.

23
Das Beschwerdegericht hat hierzu ausgeführt, dass der Erklärungsversuch des Beteiligten zu 1, wieso er bereits vier Tage nach Vorlage der Vorsorgevollmacht für die Betroffene einen Betrag von 15.000 € habe von ihrem Konto abheben wollen, wenig überzeugend gewirkt habe. Danach sei das Geld für mögliche Umbaumaßnahmen im Haus der Betroffenen gedacht gewesen, wobei der Beteiligte zu 1 habe einräumen müssen, dass keinerlei Aufträge für derartige Maßnahmen erteilt worden seien und keine Rechnungen zur Bezahlung anstünden. Dass das Beschwerdegericht weitere Umstände herangezogen hat, die aus der Tätigkeit des Beteiligten zu 1 als Ersatzbetreuer für den Sohn der Betroffenen herrühren, ist rechtsbeschwerderechtlich ebenso wenig zu beanstanden. Danach hat er für den Sohn der Betroffenen Sozialhilfe beantragt, obwohl er hätte wissen müssen, dass dieser vermögend sei. Zudem habe der Beteiligte zu 1 über einen längeren Zeitraum die von ihm in Aussicht gestellte Sperrvereinbarung hinsichtlich des Sparkontos des Sohnes nicht überreicht. Daneben habe der Beteiligte zu 1 versucht, für Auslagen 2.000 € abzuheben, was jedoch nicht gelungen sei, weil dieser Vorgang wegen fehlender Zustimmung der Betroffenen wieder storniert worden sei. Außerdem habe er, nachdem er als Betreuer wieder entlassen worden sei, einen Betrag in Höhe von 717 € von dem für den Sohn der Betroffenen eingerichteten Girokonto abgehoben. Unter den Belegen, mit denen er seine entsprechenden Auslagen nachzuweisen versucht habe, habe sich ein Beleg über den Betrag von rund 369 € befunden, der den Beteiligten zu 3 und 4 geschuldet gewesen sei.

24
Dass das Beschwerdegericht unter Würdigung dieser Umstände zu der Annahme gelangt ist, der Beteiligte zu 1 habe ein erheblich gesteigertes Interesse an den Vermögenswerten der Betroffenen, was diese aufgrund ihrer Situation nicht mehr erkennen und überblicken könne, ist nicht zu beanstanden.

25
Mit den hiergegen gerichteten Angriffen setzt die Rechtsbeschwerde ihre Einschätzung an die Stelle der vom Beschwerdegericht vorgenommenen Tatsachenbewertung. Das ist rechtsbeschwerderechtlich ohne Belang.

26
bb) Da nach den Feststellungen des Beschwerdegericht erhebliche Zweifel an der Redlichkeit des Beteiligten zu 1 bestehen, war das Gericht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht gehalten, statt der Einrichtung einer Betreuung lediglich einen Kontrollbetreuer gemäß § 1896 Abs. 3 BGB zu bestellen. Die Kontrollbetreuung dient regelmäßig als Ausgleich dafür, dass der nach Erteilung der Vollmacht geschäftsunfähig gewordene Betroffene die Vollmacht nicht mehr selbst widerrufen kann. Erforderlich ist die Kontrollbetreuung etwa, wenn besondere Schwierigkeiten in der Geschäftsführung bestehen bzw. konkrete Verdachtsmomente vorliegen, dass dem Betreuungsbedarf durch die Vollmachtserteilung nicht genügt wird. Bei erheblichen Zweifeln an der Redlichkeit des Bevollmächtigten und an der Abwendbarkeit der Vermögensgefährdung durch eine Vollmachtsüberwachungsbetreuung ist allerdings eine Vollbetreuung einzurichten (Palandt/Diederichsen BGB 70. Aufl. § 1896 Rn. 23).

27
cc) Auch wenn es dem Wunsch der Betroffenen entsprechen sollte, von dem Beteiligten zu 1 betreut zu werden, ist es schließlich nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht ihn entpflichtet und an seiner Stelle einen anderen Betreuer bestellt hat.

28
Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB hat das Betreuungsrecht einem Vorschlag des Betroffenen zur Person des Betreuers zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt es, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (Senatsbeschlüsse vom 15. Dezember 2010 – XII ZB 165/10FamRZ 2011, 285 Rn. 14 und vom 16. März 2011 – XII ZB 601/10 – zur Veröffentlichung bestimmt).

29
Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen würde die Bestellung des Beteiligten zu 1 dem Wohl der Betroffenen zuwiderlaufen. Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht ihn als Betreuer entpflichtet hat.

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