Zur Erforderlichkeit einer Betreuung trotz Vorsorgevollmacht

BGH, Beschluss vom 25.04.2018 – XII ZB 216/17

Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017, XII ZB 141/16, FamRZ 2017, 1712).(Rn.7)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 3. April 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe
I.

1
Die Beteiligte zu 1 begehrt die Einrichtung einer Betreuung für ihre Mutter.

2
Diese leidet an einer mittelgradigen bis schweren Demenz vom Typ Alzheimer. Am 22. Januar 2014 erteilte die Betroffene ihrer weiteren Tochter, der Beteiligten zu 2, eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht (im Folgenden: Vorsorgevollmacht).

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Mit der Behauptung, die Betroffene sei bereits seit dem Jahr 2012 geschäftsunfähig gewesen, was ihre Schwester ausgenutzt habe, um sich und ihrer Nichte (der Tochter der Beteiligten zu 1) nicht zustehende Vorteile zu verschaffen, hat die Beteiligte zu 1 die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Das Amtsgericht hat dies abgelehnt und das Betreuungsverfahren eingestellt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

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1. Das Landgericht hat ausgeführt, dass wegen der Bevollmächtigung der Beteiligten zu 2 die Einrichtung einer Betreuung nicht erforderlich sei. Da Geschäftsfähigkeit die Regel, ihr Fehlen die Ausnahme sei, sei bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass der Betreuungsbedürftige im Zeitpunkt der Erteilung einer Vorsorgevollmacht geschäftsfähig gewesen sei. Nur wenn positiv feststehe, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung geschäftsunfähig gewesen und auch weiterhin psychisch oder körperlich außerstande sei, Vollmachten zu erteilen bzw. Hilfen von sich aus in Anspruch zu nehmen oder sogar die Notwendigkeit der Inanspruchnahme zu erkennen, komme die Anordnung einer Betreuung in Betracht. Hier könne nicht festgestellt werden, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Erteilung der Vorsorgevollmacht zugunsten der Beteiligten zu 2 bereits geschäftsunfähig gewesen sei. Zwar könne dessen ungeachtet eine Betreuung bei fraglicher Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung auch dann eingerichtet werden, wenn ernst zu nehmende Anhaltspunkte für eine mangelnde Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr bestünden. Davon sei jedoch bei notariell beurkundeten Vollmachten, bei denen der Notar, wie auch im vorliegenden Fall, niedergelegt habe, dass der Urkundsbeteiligte nach seiner Überzeugung „voll geschäftsfähig“ sei, nicht auszugehen.

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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Landgericht den Anhaltspunkten, die gegen eine Eignung der Bevollmächtigten sprechen, nicht nachgegangen ist.

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a) Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 141/16FamRZ 2017, 1712 Rn. 19 mwN).

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Dabei entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 141/16FamRZ 2017, 1712 Rn. 22 mwN).

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b) Solche Rechtsfehler liegen hier indes vor. Die Beteiligte zu 1 hat bereits ihre Anregung, ein Betreuungsverfahren einzuleiten, damit begründet, dass ihre Schwester die Demenzerkrankung und die Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen im Oktober 2014 in unredlicher Weise zu dem Zwecke ausgenutzt habe, sich das Grundstück der Betroffenen bzw. den Nießbrauch rechtswidrig anzueignen. Außerdem hat sie auf ihre Strafanzeige zum Nachteil der Beteiligten zu 2 hingewiesen. Jedenfalls hätte der Umstand, dass die beiden der Betroffenen gehörenden Grundstücke – bis auf das Nießbrauchsrecht – unentgeltlich übertragen worden sind, den Tatrichter dazu veranlassen müssen, sich mit der Frage der Geeignetheit der Beteiligten zu 2 auseinanderzusetzen. Auch wenn diese bei dem Grundstücksgeschäft nicht als Bevollmächtige der Betroffenen mitgewirkt hat, hätten sich die Instanzgerichte jedoch mit den von der Beteiligten zu 1 erhobenen Vorwürfen befassen müssen.

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3. Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil noch weitergehende Ermittlungen anzustellen sind.

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Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht auch Gelegenheit, weitere Ermittlungen mit Blick auf die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung anzustellen. Dabei kommt auch die Beiziehung weiterer ärztlicher Befunde in Betracht, da die Betroffene ihre behandelnden Ärzte im Rahmen der Vorsorgevollmacht von der Schweigepflicht entbunden haben dürfte.

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