Zur Erforderlichkeit der Betreuerbestellung bei Bevollmächtigung mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen Vertretung des Betroffenen

BGH, Beschluss vom 31.01.2018 – XII ZB 527/17

Hat der Betroffene mehrere Personen in der Weise bevollmächtigt, dass sie ihn nur gemeinschaftlich vertreten können, können die Bevollmächtigten nur dann die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut wie ein Betreuer besorgen, wenn davon auszugehen ist, dass sie zu einer gemeinschaftlichen Vertretung in der Lage sind. Dazu bedarf es einer Zusammenarbeit und Abstimmung der Bevollmächtigten und damit jedenfalls eines Mindestmaßes an Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit.(Rn.12)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 8. September 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe
I.

1
Die im Jahre 1922 geborene Betroffene erteilte Ende Oktober 2003 ihrer Tochter (Beteiligte zu 1) und ihrer Schwiegertochter (Beteiligte zu 2) eine notarielle General- und Altersvorsorgevollmacht. Diese kann nach § 1 des Vollmachtstextes nur gemeinschaftlich ausgeübt werden. Die Generalvollmacht berechtigt die beiden Bevollmächtigten, umfassend im vermögensrechtlichen Bereich für die Betroffene tätig zu werden. Die Altersvorsorgevollmacht ermächtigt sie zu Entscheidungen unter anderem in den Bereichen der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitssorge.

2
Mitte September 2016 hat sich die Tochter der Betroffenen an das Amtsgericht gewandt und beantragt, als Betreuerin für die nach ihren Angaben seit Anfang 2015 an Demenz erkrankte Betroffene bestellt zu werden, und im weiteren Fortgang des Verfahrens auch die Bestellung eines externen Betreuers oder Kontrollbetreuers angeregt. Ihre Schwägerin, in deren Nähe die Betroffene lebt, treffe Entscheidungen zu Fragen von Gesundheit und Finanzen der Betroffenen stets allein und bereichere sich auf Kosten der Betroffenen.

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Nach mehrfachen schriftlichen Stellungnahmen der beiden Bevollmächtigten hat das Amtsgericht durch den Rechtspfleger mit Beschluss vom 22. Juni 2017 entschieden, dass für die Betroffene kein Betreuer bestellt wird. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist ohne Erfolg geblieben.

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Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt sie weiterhin das Ziel, dass für die Betroffene eine Betreuung oder Kontrollbetreuung errichtet wird.

II.

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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

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1. Dieses hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Rechtspfleger sei zur Entscheidung über die Anregung der Beteiligten zu 1 zuständig gewesen. Der angefochtene Beschluss sei dahin auszulegen, dass kein Kontrollbetreuer bestellt worden sei. Die Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung lägen auch nicht vor. Der Gesundheitszustand der Betroffenen, die in einem Heim untergebracht sei und dort die erforderliche Pflege und Versorgung erhalte, erfordere die Einrichtung einer Kontrollbetreuung nicht. Soweit die Tochter der Betroffenen geltend mache, Auskünfte nur teilweise oder gar nicht zu bekommen, könne sie sich auf ihre Vollmacht berufen. Das sei nicht Aufgabe eines Kontrollbetreuers. Soweit sie geäußert habe, die Beteiligte zu 2 nehme Zugriff auf das Vermögen der Betroffenen, handele es sich um einen bloßen Verdacht, der einer tatsächlichen Grundlage entbehre. Für die von der Beteiligten zu 2 bis einschließlich Dezember 2014 angeblich abgebuchten und verbrauchten 145.000 € sei nicht ersichtlich, dass Verfügungen ohne Wissen und Wollen der zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkrankten Betroffenen erfolgt seien. Auch für die Befürchtung, die Tochter der Beteiligten zu 2 könne unter Missbrauch der ihr von der Betroffenen erteilten Kontovollmachten Gelder für sich verbrauchen, gebe es keine Anhaltspunkte. Als Mitbevollmächtigte könne die Beteiligte zu 1 zudem ihre Schwägerin und deren Tochter auf Vermögensverfügungen zu Lasten der Betroffenen selbst kontrollieren und Auskunftsansprüche gegen ihre Schwägerin geltend machen. Für die gemeinschaftlich geregelte Vertretung der Betroffenen wäre zwar eine gut funktionierende und auf Vertrauen basierende Abstimmung wünschenswert und hilfreich. Ein Defizit in dem Vertrauensverhältnis führe aber nicht dazu, dass ein Kontrollbetreuer zur Wahrung der Rechte der Betroffenen zu bestellen sei.

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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

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a) Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Amtsgericht allein über die Einrichtung einer Kontrollbetreuung entschieden hat. Es hat dies offensichtlich zum einen daraus, dass der vorliegend tätige Rechtspfleger gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 RPflG nur insoweit zuständig ist, und zum anderen im Wege der Auslegung daraus geschlossen, dass der Beschwerde laut Nichtabhilfebeschluss des Rechtspflegers mit der Maßgabe abgeholfen wurde, es werde kein Kontrollbetreuer bestellt.

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Diese Annahme ist jedoch unzutreffend. Zwar ist richtig, dass § 15 RPflG die dem Betreuungsgericht übertragenen Angelegenheiten dem Richter vorbehält und hiervon in Absatz 1 Satz 2 lediglich die Verrichtungen ausnimmt, die eine Betreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB – mithin eine sogenannte Kontrollbetreuung – betreffen. Gleichwohl hat der Rechtspfleger des Amtsgerichts in Überschreitung seiner Kompetenz über die Frage einer Betreuung insgesamt entschieden. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Tenor des Beschlusses vom 22. Juni 2017, sondern es folgt auch aus den Beschlussgründen. Danach hat „das Gericht (…) geprüft, ob für die Betroffene ein Betreuer bestellt werden muss.“ Im Anschluss wird zuerst ausgeführt, dass und warum die Betroffene ausreichend durch die Bevollmächtigten vertreten werde und es einer umfänglichen Betreuung nicht bedürfe. In einem zweiten Begründungsschritt wird dann dargelegt, dass auch die Einsetzung eines Kontrollbetreuers nicht in Betracht komme. Der sich nur mit der Kontrollbetreuung befassende Nichtabhilfebeschluss konnte der Ausgangsentscheidung insoweit keinen anderen Gehalt verleihen.

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Unabhängig davon, dass in einem Betreuungsverfahren wie dem vorliegenden mit der (Voll-)Betreuung als Gegenstand die Frage der Kontrollbetreuung nicht gesondert durch den Rechtspfleger verbeschieden werden kann, ist hier mithin nicht lediglich die Ablehnung der Kontrollbetreuung Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden. Vielmehr ist dem Landgericht die umfassende Prüfung angefallen, ob für die Betroffene eine Betreuung zu errichten ist.

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b) Dies lässt sich, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht verneinen.

12
Allerdings darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit dies erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 – XII ZB 498/15FamRZ 2016, 704 Rn. 12 mwN). Hat der Betroffene jedoch mehrere Personen in der Weise bevollmächtigt, dass sie ihn nur gemeinschaftlich vertreten können, können die Bevollmächtigten nur dann die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut wie ein Betreuer besorgen, wenn davon auszugehen ist, dass sie zu einer gemeinschaftlichen Vertretung in der Lage sind. Dazu bedarf es aber – wie das Landgericht im Ansatz richtig erkannt hat – einer Zusammenarbeit und Abstimmung der Bevollmächtigten und damit jedenfalls eines Mindestmaßes an Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit. Anderenfalls ist das für eine wirksame gemeinschaftliche Vertretung notwendige Einvernehmen zwischen den Bevollmächtigten nicht herstellbar.

13
So aber liegt es nach den bislang getroffenen Feststellungen hier. Die von der Betroffenen im Jahre 2003 erteilte Vollmacht berechtigt die Bevollmächtigten allein zur gemeinschaftlichen Vertretung. Eine solche ist bislang jedoch nicht erfolgt, sondern die Schwiegertochter der Betroffenen ist offensichtlich im Wesentlichen allein als Vertreterin tätig geworden, ohne dass ein Einvernehmen mit der Tochter der Betroffenen hergestellt wurde. Zudem stellt sich das Verhältnis zwischen den beiden Bevollmächtigten als in einer Weise belastet dar, die ein einvernehmliches Handeln zum Wohl der Betroffenen als nur schwer umsetzbar erscheinen lässt. Bei dieser Sachlage hätte es gemäß § 26 FamFG jedenfalls weitergehender Ermittlungen bedurft, um die Erforderlichkeit einer Betreuung unter Verweis auf die den beiden Beteiligten erteilte Vollmacht zu verneinen.

14
3. Der angefochtene Beschluss ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht zurückzuverweisen.

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Dieses wird neben der Ermittlung, ob die beiden Bevollmächtigten zu der ihnen durch die Vollmacht allein gestatteten gemeinschaftlichen Vertretung in der Lage sind, auch zu prüfen haben, ob weitere von der Betroffenen erteilte Einzelvollmachten bestehen, die zumindest für Teilbereiche wie etwa bestimmte Bankgeschäfte einen Betreuungsbedarf entfallen lassen können.

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Unabhängig davon wird das Landgericht Feststellungen dazu zu treffen haben, ob bei der Betroffenen die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen. Sofern dies der Fall ist und sich gerade für den Bereich der Vermögenssorge ergibt, dass der Betreuungsbedarf durch eine vorhandene Vollmacht abgedeckt wird, wird sich das Landgericht zudem nochmals mit der Frage befassen müssen, ob es einer Betreuung zur Geltendmachung von Rechten der Betroffenen gegenüber der bevollmächtigten Person nach § 1896 Abs. 3 BGB (Kontrollbetreuung) bedarf. Dabei wird es in den Blick zu nehmen haben, ab welchem Zeitpunkt die Betroffene nach medizinischen Erkenntnissen nicht mehr selbst zur Kontrolle der bevollmächtigten Person in der Lage war, und zu erwägen haben, inwieweit die aktenkundigen finanziellen Verfügungen den Verdacht begründen, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2017 – XII ZB 143/17FamRZ 2017, 1714 Rn. 12 f. mwN).

17
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

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