BGH, Beschluss vom 03. Februar 2016 – XII ZB 317/15
Zur den Voraussetzungen für die Unterbringung des alkoholkranken Betreuten durch den Betreuer
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 1. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Gründe
1
Die angefochtene Entscheidung, mit der das Landgericht die vom Amtsgericht erteilte Genehmigung der zivilrechtlichen Unterbringung der Betroffenen für die Dauer eines Jahres bestätigt hat, hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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1. Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
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Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden darf. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen, insbesondere einer psychischen Erkrankung, steht oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat. Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen. Die zivilrechtliche Unterbringung ist – wie das Betreuungsrecht insgesamt – ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist. Deshalb kann die geschlossene Unterbringung zur Vermeidung einer erheblichen Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht. Zwar steht es nach der Verfassung in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, darf aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Betroffenen bestimmt werden, sich frei zu entschließen. Mithin setzt eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (Senatsbeschluss vom 25. März 2015 – XII ZA 12/15 – FamRZ 2015, 1017 Rn. 7 ff.).
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2. Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze rechtsfehlerfrei das Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben ohne Erfolg.
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a) Der für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Entscheidung über die Unterbringung als Betreuer bestellte Beteiligte zu 1 hat die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen beantragt. Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens sowie der persönlichen Anhörung festgestellt, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet. Diese besteht bei einer hochgradigen Alkoholabhängigkeit in gravierenden Folgeschäden im Bereich des zentralen Nervensystems, nämlich einer äthyltoxisch bedingten Neuropathie und einem äthyltoxisch bedingten Kleinhirnschaden mit Einschränkungen von Auffassungsgabe, Konzentrations- und Merkfähigkeit. Ferner hat das Beschwerdegericht gestützt auf das Sachverständigengutachten festgestellt, dass bei der Betroffenen ohne eine Unterbringung krankheitsbedingt ein alsbaldiger Rückfall zu erwarten ist, durch den sich die Erkrankung vollständig demenziell im Sinne eines Korsakow-Syndroms entwickeln und damit ein erheblicher Gesundheitsschaden im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB eintreten würde. Das Amtsgericht hat zudem festgestellt, dass die Betroffene außerhalb der geschlossenen Station in lebensbedrohliche Zustände gerät, indem sie die Nahrungsaufnahme einstellt und unkontrolliert exzessiv Alkohol konsumiert.
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b) Die Rechtsbeschwerde dringt nicht mit der Rüge durch, es fehle an Feststellungen zum Fehlen des freien Willens. Das Landgericht hat dieses rechtliche Erfordernis gesehen und im angegriffenen Beschluss ausdrücklich angesprochen. Es hat bei seiner Entscheidung ersichtlich auf dem die Unterbringung genehmigenden Beschluss des Amtsgerichts aufgebaut. Das Vorliegen eines freien Willens hatte das Amtsgericht sachverständig beraten ausdrücklich verneint, wogegen im Übrigen auch die Rechtsbeschwerde nichts erinnert. Darüber hinaus hat der im Beschwerdeverfahren beauftragte Sachverständige in seinem vom Landgericht in Bezug genommenen Gutachten ausgeführt, dass es der Betroffenen an einer Krankheitseinsicht fehlt. Ohne eine solche ist aber eine freie Willensbestimmung mit Blick auf die Unterbringung nicht möglich (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2015 – XII ZB 58/15 – FamRZ 2015, 2158 Rn. 9).
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c) Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung enthält die angegriffene Entscheidung ausreichende Feststellungen dazu, dass bei der Betroffenen ohne die Unterbringung eine unmittelbare Rückfallgefahr besteht. Wie sich aus den Ausführungen des Landgerichts zum Sachverhalt und dem in Bezug genommenen, im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten ergibt, ist die Betroffene aufgrund akuter Alkoholintoxikationen in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 dreimal – jeweils mit gerichtlicher Genehmigung geschlossen und über längere Zeiträume – stationär behandelt worden. Nach ihrer Entlassung Ende Dezember 2014 wurde sie bereits am 8. Januar 2015 erneut schwerst alkoholintoxikiert mit einem Promillewert von rund 4,6 in die Klinik eingeliefert.
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d) Schließlich ist die Unterbringung auch verhältnismäßig. Die Rechtsbeschwerde wendet insoweit ohne Erfolg ein, die Beschwerdeentscheidung verhalte sich nicht zu ambulanten Möglichkeiten, die eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen überflüssig machen könnten. Der Beschluss des Amtsgerichts, auf dem die Beschwerdeentscheidung aufbaut, enthält die Feststellung, dass alle erdenklichen Versuche, der Betroffenen eine Heimunterbringung zu ersparen, gescheitert sind. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige führt in seinem in Bezug genommenen Gutachten aus, dass in den vergangenen Jahren erfolglos – neben wiederholten mehrmonatigen stationären Aufenthalten – ambulante psychiatrische und suchttherapeutische Therapien durchgeführt wurden und eine ambulante Behandlung keinen Erfolg verspricht. Hinzu kommt, dass – wie dem Gutachten ebenfalls zu entnehmen ist – die Betroffene seit Jahren im Rahmen eines betreuten Wohnens gelebt hat. Wenn Amts- und Landgericht bei dieser Sachlage die geschlossene Unterbringung der Betroffenen als einzige Möglichkeit ansehen, der erheblichen Selbstgefährdung zu begegnen, ist das rechtlich nicht zu beanstanden.
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Bei der Unterbringungsdauer hat das Beschwerdegericht ebenfalls die auf das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten gestützte Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt. Sie entspricht auch der Empfehlung des im Beschwerdeverfahren beauftragten Sachverständigen. Die Rechtsbeschwerde erinnert insoweit nichts.
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3. Die Beschwerdeentscheidung wird mithin von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB getragen. Daher kann dahinstehen, dass es im angefochtenen Beschluss – wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt – an Ausführungen fehlt, die eine Unterbringung der Betroffenen auch gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB rechtfertigen würden.
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.