BGH, Beschluss vom 17. März 2021 – XII ZB 289/20
Zu den Voraussetzungen, unter denen nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB bei der Auswahl eines Betreuers vom Vorschlag des volljährigen Betreuten abgewichen werden darf (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 553/17, FamRZ 2018, 1192).(Rn.9)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 7. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
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Die 77jährige Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Am 20. November 2018 erteilte sie dem Beteiligten zu 1 – ihrem Ehemann – im Zustand der Geschäftsunfähigkeit eine Vorsorgevollmacht. In dieser enthalten ist auch der ausdrückliche Wunsch der Betroffenen, ihren Ehemann als Betreuer zu bestellen, falls die Einrichtung einer Betreuung notwendig werde.
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Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten, Wahrnehmung der Rechte der Betroffenen gegenüber dem Bevollmächtigten, Widerruf der Vollmacht sowie Vertretung gegenüber dem Heim eingerichtet und den Beteiligten zu 2 als Berufsbetreuer bestimmt.
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Dagegen hat der Ehemann Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, selbst zum Betreuer bestellt zu werden. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Ehemanns.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulassungsfrei statthaft, auch wenn sich der Ehemann nicht gegen die Anordnung der Betreuung als solche, sondern nur gegen die gleichzeitige Auswahl des Betreuers wendet (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 166/10 – FamRZ 2010, 1897 Rn. 10).
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2. Das Landgericht hat – im Wesentlichen durch Bezugnahme auf zuvor im Verfahren der einstweiligen Betreuerbestellung gefasste Beschlüsse – zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der bis dato die Betroffene häuslich pflegende Ehemann könne die Pflege der Betroffenen nicht allein leisten; vielmehr sei er mit dieser überfordert, ohne dies zu erkennen. Die eingerichtete Tagespflege sei zuletzt nicht mehr in Anspruch genommen worden; überdies wirke die Betroffene nach den Ausführungen des Sachverständigen unsauber und ungewaschen. Sie sei untergewichtig bzw. unterernährt und dehydriert. Der Ehemann habe angekündigt, die Betroffene aus einer eingerichteten Kurzzeitpflege wieder nach Hause zu holen, obgleich in der Pflege eine Besserung des Allgemeinzustands der Betroffenen erreicht worden sei.
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Aus den vorgenannten Gründen komme eine Betreuung in einigen bzw. allen Bereichen durch den Ehemann nicht in Betracht, da dieser nicht geeignet sei aufgrund der ersichtlichen Verkennung des Zustands der Betroffenen. Eine erneute häusliche Pflege der Betroffenen durch den Beschwerdeführer gäbe erheblichen Anlass zur Sorge, dass die Betroffene wieder in erheblich unversorgten Zustand gerät und hierdurch erhebliche gesundheitliche Schäden erleidet. Der Ehemann sei prognostisch nicht hinreichend in der Lage, zum einen die häusliche Pflege der Betroffenen durchzuführen und zum anderen Situationen der – gegebenenfalls sofortigen – Notwendigkeit fremder professioneller Hilfe für die Betroffene zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu treffen. Seine Einlassung, er werde bei einer häuslichen Pflege „ggf. auch künftig anders vorgehen …, nämlich dass ggf. gem. ärztlichem Hinweis und Verordnung bestimmte Mahlzeiten vorgenommen werden und auch ggf. dritte Personen eingeschaltet werden um den Zustand der Betroffenen sicherzustellen“ offenbare seine nach wie vor fehlende Bereitschaft, bei einer häuslichen Pflege der Betroffenen künftig unter anderem die notwendige Ernährung der – bei Einlieferung in das Krankenhaus am 9. September 2019 erheblich untergewichtigen und unterernährten – Betroffenen sicherzustellen bzw. hierfür fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Versorgung des Betroffenen erscheine prognostisch insoweit nicht gewährleistet; eine weitere Durchführung häuslicher Pflege stellte eine erhebliche Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Betroffenen dar. Dass der Ehemann nach eigenen Ausführungen in der Vergangenheit keine hinreichenden Informationen über die notwendige Pflege vorliegen hatte, bestätige seine Überforderung. In jedem Fall zurückstehen müsse die Absicht des Ehemanns, die ordnungsgemäße häusliche Pflege der Betroffenen erst zu erlernen. Nachdem die Betroffene nunmehr durch den Betreuer in einem Pflegeheim untergebracht worden sei, habe der Ehemann einer Erhöhung der durch das Pflegeheim berechneten Entgelte jedenfalls vorübergehend ohne erkennbaren Grund nicht zugestimmt, wodurch die Gefahr einer Kündigung des Heimvertrags bestanden habe. Angesichts seines Vorbringens sei nicht mit hinreichender Gewissheit davon auszugehen, dass die adäquate ununterbrochene Versorgung der Betroffenen sicher gewährleistet wäre.
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3. Dies hält den materiellrechtlichen Einwänden der Rechtsbeschwerde stand.
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a) Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist grundsätzlich die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Ein solcher Vorschlag, der Ausfluss des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts ist (Jurgeleit in Jurgeleit, Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1897 BGB Rn. 28), erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung (Senatsbeschluss vom 29. April 2020 – XII ZB 242/19 – FamRZ 2020, 1300 Rn. 26 mwN).
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Die Vorschrift des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassen-den Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht er-geben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will (Senatsbeschluss vom 29. April 2020 – XII ZB 242/19 – FamRZ 2020, 1300 Rn. 27).
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Nach § 1897 Abs. 5 Satz 1 BGB ist, wenn der Betroffene niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen Beziehungen des Betroffenen, insbesondere auf dessen persönliche Bindungen Rücksicht zu nehmen. Diese Regelung gilt auch dann, wenn der Betroffene einen nahen Angehörigen als Betreuer benannt hat. Denn der nahe Angehörige wird nach Maßgabe dieser Vorschrift „erst recht“ zum Betreuer zu bestellen sein, wenn der Betroffene ihn ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat, mag der Betroffene auch bei der Benennung nicht oder nur eingeschränkt geschäftsfähig gewesen sein. In Würdigung der in § 1897 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BGB getroffenen Wertentscheidungen wird ein naher Angehöriger des Betroffenen, der zum Betroffenen persönliche Bindungen unterhält und den der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein und nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden können, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten seiner Bestellung entgegenstehen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 390/16 – FamRZ 2017, 1779 Rn. 12).
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b) Soweit es um die Eignung der vorgeschlagenen Person geht, müssen die vom Gericht zu treffenden Feststellungen einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis ergeben (Senatsbeschluss vom 29. April 2020 – XII ZB 242/19 – FamRZ 2020, 1300 Rn. 27 mwN). Die Annahme einer solchen konkreten Gefahr beruht auf einer Prognoseentscheidung des Gerichts, für die dieses sich naturgemäß auf Erkenntnisse stützen muss, die in der – näheren oder auch weiter zurückliegenden – Vergangenheit wurzeln (Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 553/17 – FamRZ 2018, 1192 Rn. 13).
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Die Beurteilung, ob eine bestimmte Person als Betreuer eines Betroffenen ungeeignet ist, richtet sich danach, ob sie die aus der Betreuung folgenden Anforderungen (vgl. § 1901 BGB) voraussichtlich nicht erfüllen kann. Diese Prognose muss sich jeweils auf die aus der konkreten Betreuung erwachsenden Aufgaben beziehen und zu der Einschätzung führen, dass die als Betreuer in Aussicht genommene Person das Amt nicht zum Wohl des Betroffenen (§ 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB) führen wird. Dafür können unter anderem ihre intellektuellen und sozialen Fähigkeiten, ihre psychische und körperliche Verfassung, die persönlichen Lebensumstände – etwa räumliche Nähe zum Betroffenen, berufliche Auslastung oder finanzielle Verhältnisse -, bereits bestehende familiäre oder sonstige Beziehungen zum Betroffenen, aber auch besondere Kenntnisse oder Einstellungen zu für die Betreuungsführung relevanten Fragen von Bedeutung sein (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 390/16 – FamRZ 2017, 1779 Rn. 20 mwN).
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c) Die vom Tatrichter vorzunehmende Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer ist rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt (Senatsbeschluss vom 14. März 2018 – XII ZB 589/17 – FamRZ 2018, 945 Rn. 15 mwN). Dieses ist hier jedoch nicht der Fall.
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Nach der gebotenen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 390/16 – FamRZ 2017, 1779 Rn. 13) Konfrontation des Ehemanns mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hat dieser durch Anwaltsschriftsätze und in seiner persönlichen mündlichen Anhörung am 13. Dezember 2019 bestätigt, dass er der Auffassung sei, die Betroffene werde sich zuhause viel wohler fühlen, da es schließlich ihr eigenes Zuhause sei. Eine Unterversorgung, die zu dem Krankenhausaufenthalt geführt habe, bestritt er und wies darauf hin, dass schließlich er selbst den Notarzt gerufen hatte. Dass die Instanzgerichte dadurch bestätigt sahen, dem Ehemann fehle trotz des von ihm bekundeten Bemühens weiterhin das Verständnis für die pflegerischen Bedürfnisse der Betroffenen, weshalb er die Betreuung nicht zu deren Wohl führen könne, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
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4. Die auf den Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts bezogenen Einwendungen greifen nicht durch; weitere Verfahrensrügen sind nicht erhoben. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).