BGH, Beschluss vom 20.06.2018 – XII ZB 489/17
1. Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.
2. Der Anspruch auf ein faires Verfahren gebietet es, einen anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen eines zivilrechtlichen Unterbringungsverfahrens im Fall der Erledigung der Hauptsache auf die Möglichkeit hinzuweisen, seinen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringungsanordnung umzustellen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2. September 2015, XII ZB 138/15, FamRZ 2015, 1959).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 23. Mai 2017, soweit er die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme zum Gegenstand hat, und der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 7. September 2017, soweit er die hiergegen gerichtete Beschwerde verworfen hat, die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
1
Die Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung ihrer zwangsweisen Heilbehandlung.
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Das Amtsgericht hat die Unterbringung der Betroffenen durch den Betreuer bis längstens 24. Mai 2018 und die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme bis längstens 5. Juli 2017 betreuungsgerichtlich genehmigt. Auf die hiergegen von der im Instanzverfahren anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 7. September 2017 die Höchstdauer der Unterbringung bis zum 11. Mai 2018 verkürzt und im Übrigen den Beschluss des Amtsgerichts aufrechterhalten.
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Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene die Feststellung, dass sie durch die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Zwangsmaßnahme in ihren Rechten verletzt worden ist.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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1. Zwar hat die Rechtsbeschwerde ihren Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme beschränkt. Der Antrag ist jedoch dahin auszulegen, dass die Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit all derjenigen Entscheidungen begehrt, die ihre zwangsweise Heilbehandlung in dem hier anhängigen Verfahren zum Gegenstand haben.
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Danach ist auch die landgerichtliche Entscheidung Gegenstand des Verfahrens nach § 62 FamFG. Selbst wenn sich deren Beschlussformel nicht zur Beschwerde der Betroffenen verhält, hat das Landgericht diese der Sache nach verworfen. Denn es hat in den Gründen seiner Entscheidung lediglich auf die Erledigung der Maßnahme verwiesen, ohne sich inhaltlich mit der Beschwerde auseinanderzusetzen.
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2. Bei der Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 – XII ZB 600/14 – FamRZ 2015, 1706 Rn. 5 mwN).
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3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben, § 62 Abs. 1 FamFG. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Betroffene entgegen § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor der Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme nicht persönlich angehört worden ist.
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a) Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Verfahrenshandlungen sollen gemäß § 319 Abs. 4 FamFG nicht im Wege der Rechtshilfe erfolgen. Der Senat hat bereits entschieden, dass es der Wortlaut des § 319 Abs. 4 FamFG zwar nicht völlig ausschließt, die vor der Genehmigung einer Unterbringungsmaßnahme zwingend gebotene Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe vorzunehmen. Die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift bringt allerdings zum Ausdruck, dass der Richter, der über eine Unterbringungsmaßnahme zu entscheiden hat, in der Regel den Betroffenen persönlich anzuhören und sich selbst einen persönlichen Eindruck von dessen Lebensumständen zu verschaffen hat. Wegen der zentralen Bedeutung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Unterbringungsverfahren ist seine Anhörung im Wege der Rechtshilfe nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, die nach § 319 Abs. 1 FamFG notwendigen Verfahrenshandlungen im Wege der Rechtshilfe vornehmen zu lassen, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen (Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016 – XII ZB 23/16 – FamRZ 2016, 1354 Rn. 12 f. mwN).
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b) Gemessen hieran leidet das Verfahren unter einem schwerwiegenden Mangel, weil es an einer ordnungsgemäßen Anhörung der Betroffenen fehlt.
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aa) Die Betroffene ist vor Erlass des angefochtenen Beschlusses im Verfahren auf Genehmigung der Zwangsmedikation hierzu nicht angehört worden.
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In den Gerichtsakten befindet sich zwar ein Protokoll über eine – im Wege der Rechtshilfe – erfolgte Anhörung der Betroffenen vom 4. Mai 2017. Diese bezieht sich indessen offensichtlich auf ein Verfahren zur vorläufigen Unterbringung der Betroffenen, die das Amtsgericht bereits mit Beschluss vom 18. April 2017 bis zum 24. Mai 2017 genehmigt hatte.
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Ausweislich der zu dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts ergangenen Verfügung vom 23. Mai 2017 ist die Akte an das Amtsgericht Schleswig zur Anhörung „zur durch diesen Beschluss erfolgten (…) Zwangsbehandlung“ übersandt worden. Demnach sollte die Anhörung der Betroffenen erst noch im Wege der Rechtshilfe erfolgen, was dann schließlich am 13. Juni 2017 geschehen ist.
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bb) Ungeachtet des Umstands, dass das Gericht die Betroffenen gemäß § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor der Unterbringungsmaßnahme anzuhören hat (vgl. dazu MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 319 Rn. 5 mwN), vermag die nachträglich im Wege der Rechtshilfe durchgeführte Anhörung durch das Amtsgericht Schleswig den Verfahrensfehler auch im Übrigen nicht zu heilen. Denn das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung nicht dargelegt, warum ein eng begrenzter Ausnahmefall vorliegt, der ausnahmsweise eine Anhörung im Wege der Rechtshilfe rechtfertigen könnte.
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cc) Die später vom Landgericht durchgeführte persönliche Anhörung der Betroffenen vom 30. August 2017 vermag den Verfahrensfehler nicht zu heilen, weil sich die ärztliche Zwangsmaßnahme zu diesem Zeitpunkt bereits erledigt hatte.
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4. Die Betroffene ist durch die mit den angegriffenen Entscheidungen erteilte Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität und dem vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt worden (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 – XII ZB 195/17 – FamRZ 2018, 121 Rn. 29).
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a) Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtenen Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel eines rechtswidrigen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte körperliche Integrität und in das Recht auf Selbstbestimmung des Betroffenen hinsichtlich seiner körperlichen Integrität hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 – XII ZB 600/14 – FamRZ 2015, 1706 Rn. 13 mwN).
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Die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 319 FamFG gehört zu den grundlegenden Verfahrensprinzipien in Unterbringungssachen. Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift bedeutet regelmäßig einen gravierenden Verfahrensfehler im vorgenannten Sinne.
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b) Einem Beruhen der landgerichtlichen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler steht nicht entgegen, dass die Erledigung durch Zeitablauf bereits im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung eingetreten war, so dass die Betroffene schon im Beschwerdeverfahren einen Antrag nach § 62 Abs. 1 FamFG hätte stellen müssen. Dass es an dem erforderlichen Feststellungsantrag in der zweiten Instanz fehlt, nimmt dem Zurückweisungsbeschluss des Landgerichts hier nicht die Rechtswidrigkeit. Denn das Landgericht hätte bei richtiger Sachbehandlung die anwaltlich nicht vertretene Betroffene auf die Möglichkeit hinweisen müssen, ihren Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringungsanordnung umzustellen. Dies gebietet der Anspruch der Betroffenen auf ein faires Verfahren. Es ist davon auszugehen, dass sie bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichts – wie nunmehr im Verfahren der Rechtsbeschwerde – einen Antrag auf Rechtswidrigkeitsfeststellung gestellt hätte (Senatsbeschluss vom 2. September 2015 – XII ZB 138/15 – FamRZ 2015, 1959 Rn. 16 mwN).
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c) Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der – hier durch Zeitablauf erledigten – Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 – XII ZB 195/17 – FamRZ 2018, 121 Rn. 31 mwN).
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5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).