Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 11 Wx 59/05
Keine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Anbringung von Funkchips an der Kleidung eines demenzkranken Betreuten
Tenor
Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 25. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Gründe
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I. Die Betroffene leidet nach dem Ergebnis eines fachpsychiatrischen Gutachten vom 07.06.2005 an einer Altersdemenz mit deutlichen Einschränkungen im Bereich der Orientierung, der Auffassung und des Gedächtnisses. Aufgrund dessen kommt es bei der Betroffenen immer wieder zu einer psycho-motorischer Unruhe mit Weglauftendenz. So verlässt die Betroffene immer wieder das Gelände des Pflegeheimes, in dem sie lebt, zum teil auch nachts. Hierbei ist die Betroffene mehrfach gestürzt und hat sich verletzt. Sie leidet zusätzlich an internistischen Erkrankungen, die eine regelmäßige Indikation erforderlich machen, was im Falle des Weglaufens nicht zu realisieren ist.
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Bei dem Betreuer der Betroffenen handelt es sich um ihren Sohn, der u. a. mit dem Aufgabenkreis „Einwilligung in unterbringungsähnliche Maßnahmen„ gem. § 1906 Abs. 4 BGB bestellt worden ist. Mit Schreiben vom 04.04.2005 hat der Betreuer beim Amtsgericht Nauen beantragt, für die Betroffene einen Sicherheitschip in ihre Schuhe einlegen zu lassen. Durch diesen Chip wird beim Passieren der Außentüren des Heimes, die mit einer Induktionsschleife ausgerüstet sind, ein Signal ausgelöst. Das Pflegepersonal soll hierdurch in die Lage versetzt werden, die Betroffene zur Rückkehr zu bewegen.
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Mit Beschluss vom 24.08.2005 hat das Amtsgericht Nauen die Einwilligung des Betreuers zur Einrichtung einer elektronischen Weglaufanzeige für die Betroffene vormundschaftsgerichtlich bis zum 23.02.2006 genehmigt. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht Potsdam die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt und die Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass die Ausstattung der Betroffenen mit dem Chipsender ihrem Wohl entspreche und erforderlich sei, um erhebliche Gefahren für ihre Gesundheit abzuwenden. Unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden Alternativen, insbesondere einer geschlossenen Unterbringung der Betroffenen sowie der sich aus der krankheitsbedingten Weglauftendenz ergebenden erheblichen Gefahren, erweise sich der Eingriff in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen als vergleichsweise gering.
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Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen. Sie macht geltend, dass die Ausstattung mit dem Chip nicht in erster Linie dem Wohl der Beschwerdeführerin, sondern vielmehr dem reibungslosen Ablauf des Alltags des Pflegepersonals der betreuenden Einrichtung diene. Insbesondere der Ursache des sich aus der Demenzerkrankung ergebenden Weglauftendenz werde dadurch nicht begegnet. Vor diesem Hintergrund sei der Eingriff in die Freiheit der Person und die Menschenwürde der Betroffenen durch die verwendete Personenortungsanlage nicht gerechtfertigt. Die Maßnahme sei weder geeignet, erforderlich noch verhältnismäßig. So seien Notausgangsbereiche nicht mit Induktionsschleifen versehen. Es bestehe außerdem die Möglichkeit, dass die Betroffene ohne die Schuhe, in denen sich der Chip befindet, das Haus verlässt. Überdies werde weiteres Gefahrenpotential produziert, indem sich das Heimpersonal auf die vermeintlich sichere Überwachung durch das Ortungssystem verlasse. Die der Personenortungsanlage innewohnende Datenaufzeichnung verletzt zudem das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Insgesamt stelle sich die Maßnahme daher als rechtswidrig dar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 22.11.2005 Bezug genommen.
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II. Das Rechtsmittel ist zulässig. Gegen Beschwerdeentscheidungen in Bezug auf unterbringungsähnliche Maßnahmen findet gem. §§ 27 Abs. 1, 29 FGG die weitere Beschwerde statt.
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In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.
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Es ist bereits zweifelhaft, ob das Einlegen eines Sendechips in einen Schuh der Betroffenen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gem. § 1906 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 BGB bedarf.
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Das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift nur für die Fälle, in denen dem Betreuten „durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen worden soll„.
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Ob Personenortungsanlagen als freiheitsentziehende Maßnahme in diesem Sinne einzustufen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. In der Rechtsprechung verschiedener Amtsgerichte wird die Genehmigungsbedürftigkeit der Ausstattung des Betreuten mit einem Sendechip bejaht (AG Hannover, BtPrax 1992, 113; AG Bielefeld, BtPrax 1996, 232; AG Stuttgart-Bad Cannstadt, FamRZ 1997, 704). Das AG Hannover führt in seiner Entscheidung vom 5.5.1992 (BtPrax 1992, 113) zur Begründung aus, dass bereits die Ausstattung mit einem Sender den Betroffenen unmittelbar in seinem Recht auf Freiheit einschränke. Die Anlage ermögliche es nämlich den Mitarbeiten des Heims, neben ihrer persönlichen Wahrnehmung, durch Empfang der Funksignale festzustellen, dass ein mit einem Sender ausgestatteter Bewohner einen bestimmten Bereich der Station verlassen hat. Das AG Bielefeld stellt in einem Beschluss vom 16.9.1996 (BtPrax 1996, 232) die Zweckrichtung der Signalgebung in den Vordergrund, die darauf gerichtet ist, das Pflegepersonal in die Lage zu versetzen, den Betroffenen sofort nach Passieren der Außentür zur Rückkehr zu bewegen und in das Innere des Gebäudes zurückzubegleiten. Das AG Stuttgart-Bad Cannstadt räumt in der Entscheidung vom 26.11.1996 (FamRZ 1997, 704) zwar ein, dass der Sender selbst die Bewegungsfreiheit seines Trägers nicht einschränke, sondern hierzu zusätzliche Maßnahmen des Heimes erforderlich seien. Hieraus ergebe sich jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass deswegen lediglich die vom Heim getroffenen Vorkehrungen für den Fall des Alarms einer Prüfung nach § 1906 BGB zu unterziehen seien. Diese Betrachtungsweise würde einen zusammenhängenden Vorgang künstlich in zwei getrennte Teile spalten. Ohne den Sender seien vom Heim getroffene Vorkehrungen nicht denkbar. Der Sender mache ohne solche Vorkehrungen keinen Sinn. Daher sei beides im Zusammenhang zu betrachten. Es handele sich nicht um eine Maßnahme, die eine rechtlich bloß unbeachtliche Freiheitsbeschränkung darstelle. Im Alltag sei es auch nicht üblich, andere mit den technischen Hilfsmitteln zu überwachen, um ihren Ortswechsel zu unterbinden.
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Dieser Beurteilung entgegen steht ein Großteil der veröffentlichten Literatur. Die Ausstattung mit einem Personenortungssystem bzw. einer Sendeanlage soll danach keine unterbringungsähnliche Maßnahme sein (Palandt-Diederichsen, § 1906, BGB, Rn. 20, Soergel-Dammrau, § 1906, BGB, Rn. 80; MüKo-Schwab, § 1906, Rn. 34; ausführlich zum Ganzen: Feuerabend, Zur Freiheitsentziehung durch so genannte Personenortungsanlagen, BtPrax 1999, 93 ff).
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Der Senat neigt eher der zuletzt genannten Auffassung zu, nach der das Einlegen eines Sendechips in den Schuh der Betroffenen noch keine freiheitsentziehende Maßnahme i.S.v. § 1906 Abs. 4 BGB darstellt. Auszugehen ist hierbei zunächst vom Schutzzweck des Genehmigungsvorbehaltes, der darin liegt, die körperliche Bewegungs- und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsbestimmungsfreiheit zu gewährleisten (BGH FamRZ 2001, 149). Die Ausstattung der Betroffenen mit einer Sendeanlage, die es dem Pflegepersonal lediglich ermöglicht festzustellen, ob sie das Heim verlässt, stellt noch keine Freiheitsentziehung dar. Dieses Mittel beschränkt die Fortbewegungsfreiheit der Betreuten für sich gesehen nicht. Vielmehr hängt die Frage, ob die Freiheit entzogen wird, von der Reaktion der Einrichtung ab, wenn die Betroffene den Bereich, in dem sie sich aufhalten soll, verlässt. Entgegen der Ansicht des Amtsgericht Hannover ergibt sich eine freiheitsentziehende Wirkung der Maßnahme nicht allein dadurch, dass durch den Sender die Möglichkeit zur Feststellung des Aufenthaltsortes der Bewohner besteht. Es handelt sich vielmehr um eine bloße Beaufsichtigungsmaßnahme, für deren Zulässigkeit die Zustimmung des Betreuers ausreicht. Der Senat verkennt nicht, dass möglicherweise die Verwendung eines Personenortungssystems auch darauf gerichtet sein kann, notfalls die Betreute durch Zwang am Verlassen des Hauses zu hindern. Um dem Schutzzweck des § 1906 BGB Rechnung zu tragen, genügt es jedoch, die möglicherweise erforderlich werdenden Zwangsmaßnahmen einer vormundschaftlichen Genehmigung zu unterstellen. Insofern besteht kein wesentlicher Unterschied dazu, ob ein Signal von einen Bewegungsmelder oder einer Lichtschranke, also ohne einen Sender ausgelöst wird (vgl. Feuerabend, a.a.O.).
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Unabhängig davon erweist sich die angefochtene Entscheidung, für den Fall, dass man die Genehmigungsbedürftigkeit der Maßnahme bejaht, als zutreffend. Zur Begründung kann in vollem Umfang auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Potsdam Bezug genommen werden. Die Ausstattung der Betroffenen mit dem Chipsender entspricht ihrem Wohl und ist erforderlich, um eine erhebliche Gefahr von ihrer Gesundheit abzuwenden, § 1906 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BGB. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt nicht vor. Vielmehr ist das verwendete technische Hilfsmittel erforderlich, um erhebliche Gefahren für die Betroffene durch ihre krankheitsbedingte Weglauftendenz abzuwenden. Der Umstand, dass hierdurch möglicherweise auch Personaleinsparungen ermöglicht werden, führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine Pflegeorganisation, die den Patienten durch Personen ständig und total überwacht, ist im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte des Patienten nicht vorzugswürdiger. Dass die Pflege von Demenzkranken insbesondere auch eines besonderen personellen Aufwandes bedarf, rechtfertigt es allerdings nicht, technische Möglichkeiten zur Beaufsichtigung insgesamt abzulehnen. Dass es der Betroffenen möglich ist, trotz des Sendechips unbemerkt von Gelände des Heimes zu entweichen, beeinträchtigt ebenfalls nicht die Verhältnismäßigkeit. Die möglichen Gefährdungen der Betroffenen werden jedenfalls hierdurch deutlich reduziert. Der Umstand, dass keine vollkommene Überwachung erfolgt, ist im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. der Menschenwürde der Betroffenen vielmehr als günstig zu beurteilen. Inwiefern durch das Personenortungssystem ein Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung der Betroffenen erfolgt, bleibt unklar. Die von der Beschwerdeführerin gerügte Gesetzesgrundlage liegt allerdings in der Vorschrift des § 1906 BGB.
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Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
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Beschwerdewert: 3.000,- €