AG Lübeck, Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 9 XIV 17141 L
1. Ein postoperatives Delir ist eine psychische Erkrankung.
2. Die Behandlung des Delirs ist vom Behandlungsvertrag und der Einwilligung in die Heilbehandlung gedeckt, wenn es postoperativ auftritt und in die Operation selbst eingewilligt wurde.
3. Die Behandlung des Delirs kann auch Maßnahmen gegen das Herausziehen von Zugängen, das Verlassen des Krankenbettes und des Krankenhauses beinhalten.
4. Diese Behandlung und diese Sicherungsmaßnahmen sind vom Behandlungsvertrag gedeckt. Eine Unterbringung nach öffentlichem Recht ist nicht erforderlich.
Tenor
Der Antrag der Hansestadt Lübeck vom 24.10.2019 auf Unterbringung der Betroffenen in einem geeigneten Krankenhaus wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Der Antrag der Hansestadt Lübeck auf Unterbringung der Betroffenen in einem geeigneten Krankenhaus nach § 7 PsychKG SH vom 24.10.2019 ist in der gebotenen Form und unter Beifügung eines Gutachtens einer psychiatrieerfahrenen Ärztin gestellt worden. Das Gutachten belegt auch, dass mit einem postoperativen Delir eine psychische Erkrankung vorliegt. Gleichwohl ist die Anordnung er Unterbringung in einem geeigneten Krankenhaus nicht erforderlich.
2
Der Aufenthalt der Betroffenen nach der Herzklappen-Operation und angesichts des erlittenen Delirs in einem Krankenhaus ist zwar medizinisch erforderlich. Allerdings bedarf dieser Aufenthalt nicht der richterlichen Anordnung. Die Betroffene selbst hat das Krankenhaus aufgesucht und sich nach vorheriger ärztlicher Aufklärung zu einer Herzklappen-Operation entschlossen. Der Fragebogen zur Anamnese wurde am 21.10.2019 von der Betroffenen unterschrieben. Ausweislich der Anmerkungen der Anästhesistin wurde die Betroffene ausdrücklich auch auf ein Delir als Folge der Vollnarkose und auf die eventuelle Notwendigkeit einer Fixierung hingewiesen. In Kenntnis dieser möglichen und nicht sehr unwahrscheinlichen Komplikationen und in Kenntnis der nach einem Auftreten dieser Komplikationen möglicherweise durchzuführenden Sicherheitsmaßnahme hat die Betroffene in die ärztliche Heilbehandlung und die Operation eingewilligt. Damit hat sie auch in alle medizinisch erforderlichen Maßnahmen eingewilligt. Angesichts dieser Einwilligung bedarf es keiner weiteren Anordnungen oder Genehmigungen zur Durchführung der weiteren Behandlung. Die Einwilligung der Betroffen selbst genügt. Anhaltspunkte, dass die behandelnde Klinik die Behandlung nun abbrechen will und daran durch eine Unterbringung der Betroffenen zu hindern ist, gibt es nicht.
3
Nun wäre es denkbar, das Verhalten der Betroffenen wie hier gezeigt als Widerruf der Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung zu werten. Die Betroffene hat versucht, sich den externen Schrittmacher und den zentralen Venenkatheter zu ziehen, sowie versucht, aus dem Bett aufzustehen. Ein Widerruf der Einwilligung in die Heilbehandlung kann jederzeit und formfrei erklärt werden, § 630 d Abs. 3 BGB. Ob ihr Verhalten tatsächlich als Widerruf der Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung zu werten ist, kann aber dahinstehen. Wie auch die Einwilligung selbst, setzt der prinzipielle formfreie Widerruf der Einwilligung die Einwilligungsfähigkeit voraus, so Spiekhoff, Medizinrecht, Rn. 14 zu § 630 d BGB. Daran fehlt es bei der delirierenden Betroffenen aber ersichtlich.
4
Alles andere würde die Regelungen des Behandlungsvertrages im Schuldrecht des BGB sowie die Regelungen der Patientenverfügung im Paragraph konterkarieren. § 1901 a BGB regelt die Patientenverfügung als eine schriftliche Festlegung bestimmter medizinischer Maßnahmen für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn der Wille des einwilligungsunfähigen Patienten in Fällen, die von der Einwilligung in eine Maßnahme oder von der Patientenverfügung gedeckt sind, relevant wäre. Gleiches muß auch für Fälle gelten, in denen in eine konkrete Heilbehandlung eingewilligt wurde.
5
Aufgrund des bestehenden Behandlungsvertrags ist die Klinik berechtigt und verpflichtet die Maßnahmen zu ergreifen, die vom Behandlungsvertrag gedeckt sind. Bei einer Herzklappen-OP gehört ersichtlich die Behandlung des postoperativ entstanden Delirs dazu. Zur Behandlung kann es auch gehören, die betroffene Patientin am Ziehen von Zugängen, am Verlassen des Bettes oder der Klinik zu hindern. Wenn solche Maßnahmen aber vom Behandlungsvertrag gedeckt sind, ist eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nicht erforderlich.
6
Mit dieser Entscheidung bricht das AG Lübeck mit einer im hiesigen Landgerichtsbezirk weit verbreiteten Praxis. In künftigen Fällen werden die Behandler, die eine Unterbringung und Fixierung anregen, sich an einen konsiliarisch tätigen Psychiater und sodann an das Gesundheitsamt zum Zwecke der vorläufigen Unterbringung und Antragstellung bei Gericht wenden und prüfen müssen, ob ihre beabsichtigten Maßnahmen nicht bereits vom Behandlungsvertrag gedeckt sind. Insbesondere nach Operationen, in die Patienten eingewilligt haben, wird bei Aufklärung über Operationsrisiken, zu den ein Durchgangsdelir gehört, die Behandlung eben dieses Delirs stets vom Behandlungsvertrag gedeckt sein.