BGH, Beschluss vom 21. Juni 2023 – XII ZA 2/23
Zur Beiordnung eines Rechtsanwalts im Betreuungsverfahren (hier: Betreuerwechsel auf Antrag des Betreuten). (Rn.11)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Für die 1941 geborene S. (im Folgenden: ehemalige Betroffene) war seit dem Jahr 2006 eine Betreuung eingerichtet, die seither berufsmäßig durch verschiedene Mitarbeiter eines Betreuungsvereins geführt wurde. Die Betreuung wurde letztmalig durch Beschluss vom 4. November 2015 verlängert und eine Überprüfungsfrist auf den 4. November 2022 bestimmt. Sie umfasste zuletzt den Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden, Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post und Entscheidung über Fernmeldeverkehr, Vermögenssorge“. Zum Betreuer wurde im Jahr 2020 der bei dem Betreuungsverein beschäftigte Mitarbeiter P.-Z. bestellt, der zuvor mehrere Jahre Ersatzbetreuer für die ehemalige Betroffene war.
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In einem an das Betreuungsgericht gerichteten Schreiben vom 21. Oktober 2020 hat die ehemalige Betroffene erklärt, mit ihrem Betreuer unzufrieden zu sein und einen Wechsel zu dem Betreuer Dr. P. zu wünschen, der ihr von einer Pflegerin aus dem Seniorenwohnzentrum empfohlen worden sei. Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 hat sich Rechtsanwalt I. unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht als Verfahrensbevollmächtigter für die ehemalige Betroffene gemeldet und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt. Das Amtsgericht hat in der Folgezeit verschiedene Stellungnahmen des Betreuers und der Betreuungsbehörde eingeholt und einen Verfahrenspfleger für die ehemalige Betroffene bestellt. Eine Entscheidung über den Betreuerwechsel und über den Verfahrenskostenhilfeantrag hat das Amtsgericht bis zum Tode der ehemaligen Betroffenen am 9. Dezember 2021 nicht getroffen. Mit Beschluss vom 12. August 2022 hat es die begehrte Verfahrenskostenhilfe abgelehnt. Dagegen hat sich Rechtsanwalt I. sowohl im eigenen Namen als auch im Namen der unbekannten Erben der ehemaligen Betroffenen mit der sofortigen Beschwerde gewendet. Mit Beschluss vom 2. Januar 2023 hat das Landgericht die im eigenen Namen von Rechtsanwalt I. eingelegte Beschwerde verworfen. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde insoweit zugelassen.
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Rechtsanwalt I. bittet als Verfahrensbevollmächtigter der unbekannten Erben der ehemaligen Betroffenen in deren Namen um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
II.
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Die beantragte Verfahrenskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die mit der Rechtsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 76 Abs. 1 FamFG iVm § 114 ZPO).
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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass es sich bei dem Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe um einen höchstpersönlichen Anspruch des Verfahrensbeteiligten handelt, der nach seinem Tode nicht rückwirkend zugunsten des Nachlasses bewilligt werden könne, und zwar auch dann nicht, wenn das Gericht über den Verfahrenskostenhilfeantrag bei zügiger Bearbeitung noch zu Lebzeiten des Beteiligten entschieden hätte. Diese Frage sei allerdings streitig und deren Klärung von grundsätzlicher Bedeutung, zumal das Bundessozialgericht in einem obiter dictum und einige Landessozialgerichte und Landesarbeitsgerichte anders entschieden hätten.
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2. Unbeschadet der für den Senat bindenden Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Denn die von dem Beschwerdegericht aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Verfahrenskostenhilfeantrag mit dem Tod des bedürftigen Beteiligten auch dann gegenstandslos wird, wenn das Gericht die Entscheidung über seinen bewilligungsreifen Antrag pflichtwidrig verzögert hat (vgl. dazu etwa MünchKommZPO/Wache 6. Aufl. § 114 Rn. 42; Musielak/Voit/Fischer ZPO 20. Aufl. § 119 Rn. 15, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung) ist nicht entscheidungserheblich. Der ehemaligen Betroffenen hätte auch dann keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden können, wenn das Amtsgericht noch vor ihrem Tod über den Antrag entschieden hätte.
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a) Für Verfahren in Betreuungssachen werden von einem sozialhilfebedürftigen und vermögenslosen Betreuten weder Gerichtsgebühren noch gerichtliche Auslagen erhoben. Ist das gerichtliche Verfahren – wie hier für die ehemalige Betroffene – gerichtskostenfrei, kann Verfahrenskostenhilfe grundsätzlich nur dann bewilligt werden, wenn dem Beteiligten auch ein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann (vgl. BVerwG NVwZ-RR 1989, 665, 666 zu § 188 VwGO). Das Beschwerdegericht hat zwar die Erfolgsaussichten des von der ehemaligen Betroffenen gestellten Antrags auf einen isolierten Betreuerwechsel erörtert, sich aber nicht die Frage vorgelegt, ob die Voraussetzungen des § 78 Abs. 2 FamFG für die Beiordnung eines Rechtsanwalts gegeben sind. Diese Frage ist zu verneinen.
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b) Gemäß § 78 Abs. 2 FamFG wird einem Beteiligten, wenn eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.
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Nach der Rechtsprechung des Senats kann sich das Verfahren für einen Beteiligten schon allein wegen einer schwierigen Sach- oder Rechtslage so kompliziert darstellen, dass auch ein bemittelter Beteiligter vernünftigerweise einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde. Allein eine möglicherweise existentielle Bedeutung der Sache kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts für sich genommen dagegen nicht mehr begründen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Januar 2016 – XII ZB 639/14 – FamRZ 2016, 531 Rn. 12 und vom 13. Juni 2012 – XII ZB 218/11 – FamRZ 2012, 1290 Rn. 14 mwN); sie kann allenfalls – ähnlich wie das Kriterium der Waffengleichheit – als ein zusätzlicher Gesichtspunkt für die einzelfallbezogene Beurteilung der Frage ausgewertet werden, ob ein bemittelter Beteiligter angesichts der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Falles im Zweifel einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (vgl. auch Prütting/Helms/Dürbeck FamFG 6. Aufl. § 78 Rn. 6). Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich zudem nach den subjektiven Fähigkeiten des unbemittelten Beteiligten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Januar 2016 – XII ZB 639/14 – FamRZ 2016, 531 Rn. 12 und BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 24 f.), insbesondere dessen Fähigkeiten, sich schriftlich oder mündlich auszudrücken.
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Die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung richtet sich daher grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls. Die gebotene einzelfallbezogene Prüfung lässt eine Herausbildung von Regeln, nach denen einem mittellosen Beteiligten für bestimmte Verfahren immer oder regelmäßig ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, nur in engen Grenzen zu (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 18). Dies gilt auch und gerade für Verfahren in Betreuungssachen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollen die Interessen der Betroffenen in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren grundsätzlich durch die Bestellung eines Verfahrenspflegers gewahrt werden. Dieser nimmt in tatsächlich einfach und rechtlich durchschnittlich gelagerten Fällen die Interessen der Betroffenen wahr, wohingegen die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur dann erfolgen soll, wenn der Fall rechtlich und tatsächlich so schwierig gelagert ist, dass die Interessenwahrnehmung durch einen Rechtsanwalt geboten erscheint. Nur dann, wenn diese engen Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts vorliegen, ist sie gegenüber der Bestellung eines Verfahrenspflegers vorrangig (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 214). Mit diesen eindeutigen Intentionen des Gesetzgebers ist es nicht zu vereinbaren, aus den §§ 276 Abs. 5, 317 Abs. 5 FamFG auch im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe einen Vorrang der Anwaltsvertretung vor der Verfahrenspflegerbestellung herzuleiten oder wegen der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen und dessen typischerweise eingeschränkten subjektiven Fähigkeiten zur Interessenwahrnehmung in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Beiordnung eines Rechtsanwalts auszugehen.
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c) Gemessen daran kam im vorliegenden Fall die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die ehemalige Betroffene nicht in Betracht.
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Das Verfahren lässt keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten erkennen. Aufwändige tatsächliche Ermittlungen waren nicht zu erwarten und sind vom Amtsgericht auch nicht durchgeführt worden. Für die Annahme, dass der bisherige Betreuer aus wichtigem Grund gemäß § 1908 b Abs. 1 BGB aF – etwa wegen Pflichtwidrigkeit oder fehlender Eignung – hätte entlassen werden müssen, hatten sich bereits keine genügenden tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben, an die weitere Ermittlungen des Gerichts hätten anknüpfen könnten. Bei der hier allein in Betracht kommenden Entlassung des bisherigen Betreuers auf Antrag der Betreuten (§ 1908 b Abs. 3 BGB aF) waren tatrichterliche Ermittlungen im Wesentlichen nur zu der Frage veranlasst, ob der Wunsch der ehemaligen Betroffenen nach der Bestellung eines neuen Berufsbetreuers auf einer ernsthaften und auf Dauer angelegten eigenständigen Willensbildung beruhte und unabhängig vom Einfluss Dritter zustande gekommen war (vgl. BayObLG FamRZ 2005, 548; MünchKommBGB/Schneider 8. Aufl. § 1908 b Rn. 25). Selbst wenn man hier die krankheitsbedingt eingeschränkten subjektiven Fähigkeiten der ehemaligen Betroffenen zur schriftlichen und mündlichen Kommunikation berücksichtigt, erscheint angesichts des eher einfach gelagerten Sachverhalts die Wahrnehmung ihrer Interessen durch einen Verfahrenspfleger ausreichend, und zwar selbst dann, wenn dieser nicht über eine juristische Ausbildung verfügt hätte. Auch die Bedeutung des Verfahrens für die ehemalige Betroffene gebietet keine andere Beurteilung. Denn die Entscheidung über den Wechsel des Berufsbetreuers während einer laufenden Betreuung – zumal nur knapp zwei Jahre vor dem Ablauf der Überprüfungsfrist – ist schon nicht mit einem vergleichbar schweren Eingriff in die Rechte des Betreuten verbunden wie es beispielsweise bei einer Entscheidung über die erstmalige Bestellung eines Betreuers oder über die (Nicht-)Aufhebung einer Betreuung der Fall wäre.
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3. Ergeben sich somit mangels Entscheidungserheblichkeit keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, die in einer höchstrichterlichen Entscheidung geklärt werden könnten, kommt es für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe allein auf die Erfolgsaussichten in der Sache an (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. März 2019 – XII ZB 544/18 – FamRZ 2019, 1045 Rn. 10 und vom 24. April 2013 – XII ZR 159/12 – FamRZ 2013, 1199 Rn. 9). Die beabsichtigte Rechtsbeschwerde hat indessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.