BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – XII ZB 479/11
Zum beabsichtigten Verzicht des Betreuers auf ein zugunsten des Betreuten bestelltes Wohnungsrecht, welches dieser nicht mehr nutzen kann.(Rn.9)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 23. August 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.
Verfahrenswert: 3.000 €
Gründe
I.
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Der 77 Jahre alte Betroffene ist an Demenz erkrankt und lebt seit 2010 auf eigenen Wunsch in einem Pflegeheim. Eine Rückkehr in seine frühere Wohnung steht nach den Angaben der Betreuerin nicht zu erwarten und werde von ihm auch nicht angestrebt.
2
Für die frühere Wohnung ist zugunsten des Betroffenen ein lebenslanges unentgeltliches Wohnungsrecht im Grundbuch eingetragen. Dieses hatte ihm die Wohnungseigentümerin, seine frühere Lebensgefährtin, bedingt für den Fall ihres Vorversterbens und mit der Maßgabe bestellt, dass das Wohnungsrecht nicht einem Dritten zur Ausübung überlassen werden dürfe und dass der Berechtigte Hausgelder und die anfallenden Nebenkosten insgesamt zu tragen habe. Im September 2008 verstarb die frühere Lebensgefährtin; sie wurde testamentarisch von ihren Enkeln beerbt.
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Die Beteiligte zu 1 hat als Betreuerin beantragt, ihr die Bewilligung der Löschung des eingetragenen Wohnungsrechts gerichtlich zu genehmigen, da der Betroffene durch die laufenden Hausgelder und Nebenkosten, für die er aufzukommen habe, belastet sei, ohne noch irgendeinen Nutzen aus dem Wohnungsrecht ziehen zu können. Er könne das Wohnungsrecht nicht mehr selbst ausüben und es auch nicht anderweitig verwerten, da es ihm nicht gestattet sei, es einem Dritten zur Ausübung zu überlassen. Eine Kapitalabfindung für den Verzicht auf das Wohnungsrecht hätten die derzeitigen Eigentümer abgelehnt.
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Das Betreuungsgericht hat den Antrag der Betreuerin abgelehnt; das Beschwerdegericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die beabsichtigte Löschungsbewilligung sei ein nach §§ 1908 i Abs. 1, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB genehmigungsbedürftiges Geschäft. Der mit der Löschung bezweckte Verzicht auf das Wohnungsrecht ohne jegliche Gegenleistung stelle der Sache nach eine Schenkung dar. Diese sei nur genehmigungsfähig, wenn sie unter Berücksichtigung der materiellen und immateriellen Belange letztlich im Interesse des Betroffenen liege. Das sei hier nicht der Fall, denn es sei eine Abfindung des Wohnungsrechts durch die Eigentümer unterhalb des nach der Lebenserwartung berechneten Restmietwerts denkbar.
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2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Gemäß §§ 1908 i Abs. 1, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB bedarf der Betreuer zur Verfügung über ein Grundstück oder über ein Recht an einem Grundstück einer Genehmigung des Betreuungsgerichts. Bei dem im Grundbuch eingetragenen Wohnungsrecht des Betroffenen handelt es sich um eine besondere Art der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1093 Abs. 1 Satz 1 BGB), somit um ein Recht an einem Grundstück, über das die Beteiligte zu 1 nur mit gerichtlicher Zustimmung verfügen kann. Außerdem folgt die Genehmigungsbedürftigkeit aus einer entsprechenden Anwendung des § 1907 Abs. 1 BGB, da die Aufgabe des Wohnungsrechts eine endgültige Wohnungsauflösung bedeutet und deshalb nach dem Schutzzweck des § 1907 BGB der Kündigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum gleichsteht. Da es sich bei der beabsichtigten Löschungsbewilligung um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt, ist über die gerichtliche Genehmigung vorab zu entscheiden (§ 1831 BGB).
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b) Maßstab für die gerichtliche Entscheidung über die Genehmigung ist das Interesse des Betreuten. Das Gericht hat dabei eine Gesamtabwägung aller Vor- und Nachteile sowie der Risiken des zu prüfenden Geschäfts für den Betreuten vorzunehmen (vgl. OLG Hamm RPfleger 2004, 214, 216; Staudinger/Engler BGB [2004] § 1828 Rn. 16; MünchKommBGB/Wagenitz 5. Aufl. § 1828 Rn. 17).
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Die Abwägung aller für die Entscheidung in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist Aufgabe des Tatrichters. Sie kann – ähnlich einer Ermessensentscheidung – vom Rechtsbeschwerdegericht nur darauf hin überprüft werden, ob der Tatrichter die gesetzlichen Grenzen seines Beurteilungsspielraums überschritten oder einen unsachgemäßen, dem Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufenden Gebrauch von seiner Entscheidungsbefugnis gemacht hat (vgl. Senatsbeschluss vom 30. November 2011 – XII ZB 79/11 – juris Rn. 21; Keidel/Meyer-Holz FamFG 17. Aufl. § 72 Rn. 8 mwN). Letzteres ist hier allerdings der Fall.
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c) Die Genehmigung richtet sich nach dem sonstigen Interesse des Betreuten unter Berücksichtigung seiner Wünsche (§ 1901 Abs. 3 BGB).
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Hat der Betreute den Willen gefasst, endgültig nicht mehr in die frühere Wohnung zurückzukehren, bedarf es einer Aufrechterhaltung des Wohnungsrechts für diesen Zweck nicht mehr.
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Eine anderweitige Nutzung des Wohnungsrechts durch den Betreuten, insbesondere im Wege der Vermietung, ist ausgeschlossen.
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Das dingliche Wohnungsrecht ist eine besondere Art der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1093 Abs. 1 Satz 1 BGB). Deshalb darf Dritten, wenn sie nicht zu den in § 1093 Abs. 2 BGB genannten Personen gehören, die Allein- oder Mitbenutzung der Wohnung nur bei Gestattung durch den Eigentümer überlassen werden (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB). Für eine solche Gestattung bedarf es einer Vereinbarung zwischen dem Eigentümer und dem Berechtigten (BGH Urteil vom 19. Januar 2007 – V ZR 163/06 – FamRZ 2007, 632, 634 mwN). Eine solche ist nicht abgeschlossen.
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Vielmehr hat die frühere Lebensgefährtin dem Betreuten lediglich ein Wohnungsrecht zugewendet, das er nur persönlich ausüben darf. Dieses folgt bereits aus der in die Bewilligungserklärung vom 9. Januar 2007 aufgenommenen Bestimmung, wonach die Überlassung des Wohnungsrechts zur Ausübung an einen Dritten ausdrücklich ausgeschlossen ist.
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d) Das Landgericht hat seine Entscheidung schließlich darauf gestützt, dass dem Wohnungsrecht des Betreuten ein Vermögenswert beizumessen sei, welchen die Betreuerin nicht schenkweise, ohne eine angemessene Abfindung, weggeben dürfe. Diese Einschätzung beruht jedoch auf einem unzutreffenden Schenkungsbegriff.
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Gemäß §§ 1908 i Abs. 2 Satz 1, 1804 BGB darf der Betreuer nicht in Vertretung des Betreuten Schenkungen machen. Der Zweck dieser Vorschrift liegt in dem Schutz des Vermögens des Betreuten, aus dem nichts zu seinem Nachteil unentgeltlich weggegeben werden soll. Nach diesem Schutzzweck kann auch der Erlass einer Forderung unter den Schenkungsbegriff des § 1804 BGB fallen (OLG Stuttgart FamRZ 1969, 39, 40), ebenso der Verzicht auf ein im Grundbuch eingetragenes Recht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Rechtsposition, die der Betreuer weggibt, einen realen Vermögenswert des Betreuten darstellt. Eine Rechtsposition, die keinen Vermögenswert darstellt, und deren Weggabe dem Betreuten keinen Nachteil zufügt, untersteht nicht dem Schutz des § 1804 BGB.
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Das vom Betreuten innegehaltene Wohnungsrecht stellt einen aktiven Vermögenswert insoweit dar, als es ihm persönlich die Wohnnutzung ermöglicht. Daher läge in dem Verzicht auf das Wohnungsrecht eine dem § 1804 BGB unterfallende Vermögenszuwendung, solange eine Wiederaufnahme der Wohnnutzung durch den Betreuten in Betracht kommt. Bestünde jedoch das Interesse an der Wohnnutzung endgültig nicht mehr, verlöre das Wohnungsrecht seinen Nutzwert und – da es auch durch Vermietung nicht fruchtbar gemacht werden kann – seinen Vermögenswert insgesamt. Der Verzicht auf ein wertlos gewordenes Wohnungsrecht erfüllte nicht den Begriff der Schenkung im Sinne des § 1804 BGB.
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Die Rechtsposition, die der Betreute dann noch innehat, entfaltet lediglich eine Sperrwirkung. Sie hat zur Folge, dass die dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume nach dem Umzug des Berechtigten in das Pflegeheim von niemandem genutzt werden könnten. Der Betreute ist aus tatsächlichen Gründen gehindert, sein Recht wahrzunehmen; die Erben wären angesichts des fortbestehenden Wohnungsrechts nicht befugt, die Räume ohne Zustimmung des Betreuten selbst zu nutzen oder Dritten zu überlassen.
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e) Hier steht dem verbliebenen Vorteil, die Wohnnutzung im Bedarfsfalle wiederaufnehmen zu können, eine laufende Kostenbelastung durch Hausgeld und Nebenkosten gegenüber. Je unwahrscheinlicher eine Rückkehr in die frühere Wohnung ist, desto mehr entspricht die Aufgabe des Wohnungsrechts dem Interesse des Betreuten, um sich der monatlichen Kostenlast zu entledigen. Der Aufklärung dieser für die Genehmigung des Rechtsgeschäfts entscheidenden Frage dient die persönliche Anhörung des Betroffenen (§ 299 Satz 1, 2 FamFG), welche noch aussteht.