Zur Erforderlichkeit der Betreuerbestellung trotz Vorsorgevollmacht und zu den Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung

AG Dresden, Beschluss vom 10. März 2022 – 404 XVII 2174/21

Zur Erforderlichkeit der Betreuerbestellung trotz Vorsorgevollmacht und zu den Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung

1. Zum Wesen der Betreuung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 3. Februar 2016 – XII ZB 425/14).

2. Zur Erforderlichkeit der Betreuerbestellung trotz Vorsorgevollmacht (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 164/20 und BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – XII ZB 498/15).

3. Zu den Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 413/17).

4. Zur Überzeugungsbildung nach § 37 Abs. 1 FamFG.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Bestellung eines Betreuers wird abgelehnt.

2. Die Einrichtung einer Kontrollbetreuung wird abgelehnt.

Gründe
I.

1
Die Betroffene erteilte am 1.11.2003, jeweils bestätigt am 11.08.2012 und 28.06.2014, zunächst dem Beteiligten zu 5 als Hauptbevollmächtigten und dem Beteiligten zu 1 als Ersatzbevollmächtigten umfassend Vorsorgevollmacht (Bl. 193-194 d.A.). Am 24.08.2018 erteilte die Betroffene nunmehr dem Beteiligten zu 1 als Hauptbevollmächtigten und dem Beteiligten zu 5 als Ersatzbevollmächtigten umfassend Vorsorgevollmacht (Bl. 193-194 d.A.). Unter dem 13.02.2021 erteilte die Betroffene dem Beteiligten zu 3 umfassend Vollmacht (Bl. 196-199 d.A.). Mit Schreiben vom 2.03.2021 regte der Beteiligte zu 3 aufgrund diverser Bargeldabhebungen des Beteiligten zu 1 sowie ungeklärter Vollmachtsituation die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene an. Mit Beschluss vom 16.03.2021 – 3 XVII 87/21 – ordnete das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Dippoldiswalde die vorläufige Betreuung bis zum 16.09.2021 an, wobei der vorläufigen Betreuerin u.a. die Aufgabenkreise Gesundheits- und Vermögenssorge zugewiesen wurden. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beteiligten zu 1 vom 13.04.2021 half das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Dippoldiswalde mit Beschluss vom 13.04.2021 nicht ab und erweiterte vorläufig den Umfang der Betreuung um die Aufgabenkreise Widerruf der Vollmacht sowie Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Bevollmächtigten der Betroffenen. Sowohl seine hiergegen gerichtete Beschwerde vom 22.04.2021 als auch die Beschwerde des Beteiligten zu 1 vom 13.04.2021 nahm der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 wegen der bereits am 16.09.2021 erfolgten Beendigung der vorläufigen Betreuung mit Anwaltsschriftsatz vom 27.09.2021 zurück. Mit Beschluss vom 13.09.2021 gab das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Dippoldiswalde das Verfahren an das erkennende Gericht ab, wobei die Akte erst nach Ablauf der vorläufigen Betreuung am 20.09.2021 beim Amtsgericht – Betreuungsgericht – Dresden eingegangen ist. Aufgrund der Anregung im mittlerweile beendeten vorläufigen Betreuungsverfahren des Amtsgerichts – Betreuungsgericht – Dippoldiswalde prüft das erkennende Gericht nunmehr von Amts wegen die Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers oder der Einrichtung einer Kontrollbetreuung.

2
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Pflegesachverständigen Bahr-Moh vom 4.08.2021 (Bl. 243 ff. d.A. 404 XVII 1930/21), das Gutachten des Facharztes für Neurologie und für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. Fuhrmann vom 18.11.2021 (Bl. 29 ff. d.A.), den Sozialbericht der Betreuungsbehörde Dresden vom 10.11.2021 (Bl. 25 ff. d.A.) sowie das Protokoll der Inaugenscheinnahme der Wohnung der Betroffenen vom 11.01.2022 (Bl. 116 d.A.) verwiesen.

II.

3
Die Ermittlungen des Betreuungsgerichts haben ergeben, dass unter Berücksichtigung des Wesens der Betreuung (1.) weder die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung (2.) noch die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung (3.) vorliegen. Schließlich rechtfertigen auch die innerfamiliären Streitigkeiten zwischen den Beteiligten zu 1 bis 5 nicht die genannten betreuungsrechtlichen Maßnahmen (4.).

4
1. Das Betreuungsrecht insgesamt ist ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2018 – XII ZB 167/18 –, Rn. 9, juris). In Erfüllung dieses Auftrags stellt der Staat einem Betroffenen, der krankheits- oder behinderungsbedingt einer Hilfe bei der Erledigung seiner rechtlichen Angelegenheiten bedarf, einen Betreuer mit der Aufgabe zur Seite, die genannten Einschränkungen des Betroffenen auszugleichen. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht daher auch ein Recht des Betroffenen auf Betreuerbestellung (BGH, Beschl. vom 28. Januar 2015 – XII ZB 520/14 –, Rn. 13, juris).

5
2. Die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung liegen nicht vor.

6
a) Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). So wie die – eine Betreuung erfordernde – Krankheit mit hinreichender Sicherheit feststehen muss, eine bloße Verdachtsdiagnose also nicht ausreicht, genügt ein bloßer Verdacht nicht, um die Vermutung der Wirksamkeit einer vorliegenden Vollmachtsurkunde zu erschüttern. Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es somit bei der wirksamen Bevollmächtigung (BGH, Beschluss v. 3. 2. 2016 – XII ZB 425/14, FamRZ 2016, 701, Rdn. 11). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen.

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Ob eine bestehende Vollmacht dann, wenn sie in Zweifel gezogen wird, dem Bevollmächtigten ermöglicht, die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut wie durch einen Betreuer zu besorgen, ist eine nachgeordnete Frage, die sich erst stellt, wenn die Frage der Wirksamkeit der Vollmacht im Rahmen der Aufklärung von Amts wegen nach § 26 FamFG ausermittelt ist und nicht positiv festgestellt werden kann, ob sie wirksam oder unwirksam ist (BGH, Beschl. vom 3. Februar 2016 – XII ZB 425/14, FamRZ 2016, 701, Rdn. 12). Dabei entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Bleiben Bedenken an der Wirksamkeit der Vollmachterteilung oder am Fortbestand der Vollmacht, kommt es darauf an, ob dadurch die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr eingeschränkt ist, entweder weil Dritte die Vollmacht unter Berufung auf diese Bedenken zurückgewiesen haben oder weil Entsprechendes konkret zu besorgen ist (BGH, Beschl. v. 3. Februar 2016 – XII ZB 425/14, FamRZ 2016, 701, Rdn. 12; vgl. auch BGH, Beschl. v. 17. Februar 2016 – XII ZB 498/15, FamRZ 2016, 704, Rdn. 12 m.w.Nachw.). Trotz Vorsorgevollmacht kann eine Betreuung zudem dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn erhebliche Bedenken an der Geeignetheit oder Redlichkeit des Bevollmächtigten bestehen (BGH, Beschl. vom 21. April 2021 – XII ZB 164/20 –, Rn. 6, juris; BGH, Beschl. v. 17. Februar 2016 – XII ZB 498/15, FamRZ 2016, 704, Rdn. 12  m.w.Nachw.; BGH, DNotZ 2017, 128 Rn. 8-10, beck-online).

8
b) Im vorliegenden Fall scheitert die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung an der Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht, die die Betroffene am 24.08.2018 zugunsten des Beteiligten zu 1 als Hauptbevollmächtigten und des Beteiligten zu 5 als Ersatzbevollmächtigten erteilt hat. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts gemäß § 37 Abs. 1 FamFG fest.

9
aa) Gemäß § 37 Abs. 1 FamFG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Damit das Gericht eine Tatsache seiner Entscheidung zu Grunde legen kann, muss es hinreichend von ihrem Vorliegen überzeugt sein. Zu diesem Zweck erhebt es die erforderlichen Beweise (vgl. § 29 Abs. 1 FamFG). Das für den Nachweis einer Tatsache notwendige Maß gerichtlicher Überzeugung steht nicht im Ermessen des Gerichts. Es ist vielmehr gesetzlich vorgegeben. Eine Tatsache ist bewiesen, d.h. ausreichend verifiziert, wenn die entscheidende Gerichtsperson mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit von ihr überzeugt ist (notwendiges Überzeugungsmaß). Vollständige Gewissheit ist nicht erforderlich, weil sie sich nicht erreichen lässt. Nicht ausreichend ist dagegen überwiegende Wahrscheinlichkeit. Dies zeigt der Vergleich des im Regelfall zur Verifizierung vorgesehenen Beweises (§§ 29 ff. FamFG) mit der ausnahmsweise zugelassenen Glaubhaftmachung (§ 31 FamFG); im Zivilprozess: § 286 ZPO (Beweis) und § 294 ZPO (Glaubhaftmachung) sowie nunmehr als Zwischenstufe auch § 283a ZPO (hohe Aussicht). Soweit das Gesetz anstelle des Beweises die Glaubhaftmachung oder eine hohe Aussicht vorsieht, begnügt es sich mit einem geringeren Maß an Überzeugung. Dieser Unterschied würde ausgeräumt, wenn auch für den Beweis überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichend wäre.

10
Erforderlich für einen Beweis ist nach Vorstehendem, dass das Gericht sich die volle Überzeugung verschafft, dass eine Tatsache vorliegt oder nicht. Das Gericht muss danach nicht prüfen, ob jeder Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausgeschlossen ist. Es genügt vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sämtliche Zweifel völlig auszuschließen. Dieser Maßstab gilt im Freibeweis und im Strengbeweis gleichermaßen. Beide unterscheiden sich nur hinsichtlich der Förmlichkeiten auf dem Weg zur Gewinnung richterlicher Überzeugung, nicht aber hinsichtlich des insoweit notwendigen Maßes (MüKoFamFG/Ulrici, 3. Aufl. 2018, FamFG § 37 Rn. 14, 15).

11
bb) Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. Fuhrmann im Gutachten vom 18.11.2021 ist davon auszugehen, dass die am 24.08.2018 zugunsten des Beteiligten zu 1 erteilte Vorsorgevollmacht, die die am 1.11.2003 zugunsten des Beklagten zu 5 erteilte und jeweils am 11.08.2012 und 28.06.2014 bestätigte Vorsorgevollmacht abgelöst hat, höchstwahrscheinlich wirksam ist, wohingegen die zugunsten des Beteiligten zu 3 erteilte Vollmacht vom 13.02.2021 sicherlich unwirksam ist (Bl. 37 d.A.). Dieser gutachterliche Befund wird durch das ärztliche Zeugnis des Hausarztes Dr. med. Schindler vom 17.03.2021 bestätigt, wonach im März 2019 eine Demenzdiagnostik im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme noch weitgehend normal ausfiel und die Betroffene spätestens seit 26.08.2019 nicht mehr jederzeit umfassend orientiert und geschäftsfähig war (Bl. 118 d.A.). Selbst bei – hier nicht vorliegenden – Zweifeln an der Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht vom 24.08.2018 bliebe es nach den dargelegten höchstrichterlichen Rechtsgrundsätzen bei der wirksamen Bevollmächtigung (BGH, Beschluss v. 3. Februar 2016 – XII ZB 425/14, FamRZ 2016, 701, Rdn. 11). Auch bei – hier nicht vorliegenden – Bedenken an der Wirksamkeit der Vollmachterteilung oder am Fortbestand der Vollmacht lägen keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr vor. Das für die Betroffene zuständige Geldinstitut hat vielmehr angekündigt, nach Klärung der Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht vom 24.08.2018 Kontozugang zu gewähren. Darüber hinaus fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 1 ungeeignet ist, die Angelegenheiten der Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil nicht zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Zweifel an der Geeignetheit oder Redlichkeit des Beteiligten zu 1 sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.

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3. Auch fehlen die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung.

13
a) Eine Kontrollbetreuung gemäß § 1896 Abs. 3 BGB kann erforderlich sein, wenn nach den üblichen Maßstäben eines vernünftigen Vollmachtgebers unter Berücksichtigung des in den Bevollmächtigten gesetzten Vertrauens eine ständige Kontrolle schon deshalb geboten ist, weil Anzeichen dafür sprechen, dass der Bevollmächtigte mit dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist, oder wenn gegen die Redlichkeit oder die Tauglichkeit des Bevollmächtigten Bedenken bestehen. Ein Missbrauch der Vollmacht oder ein entsprechender Verdacht ist nicht erforderlich. Ausreichend sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handelt (BGH, Beschluss vom 09. Mai 2018 – XII ZB 413/17 –, juris Rn.25). Soll dem Kontrollbetreuer die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf übertragen werden, setzt dies tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt. Sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden (Kontroll- )Betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftsablegung sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte (BGH, Beschluss vom 09. Mai 2018 – XII ZB 413/17 –, juris Rn.32).

14
b) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme liegen keine Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer Kontrollbetreuung für die Aufgabenkreise Gesundheits- und Vermögenssorge vor.

15
aa) Das Gutachten der Pflegesachverständigen Bahr-Moh vom 4.08.2021 kommt zwar zum Ergebnis, dass unter den aktuellen Umständen und den konkreten Möglichkeiten eine kompetente pflegefachlich fundierte Versorgung in der eigenen Wohnung der Betroffenen nicht möglich sei. Allerdings ist der Beweiswert dieses Gutachtens stark gemindert, weil die Pflegesachverständigen Bahr-Moh keinen Wohnungs-, sondern lediglich einen Heimbesuch unternommen hat. Demgegenüber attestiert der Sozialbericht der Betreuungsbehörde Dresden vom 10.11.2021, dem ein Wohnungsbesuch zugrundeliegt, dass die Versorgung und Pflege der Betroffenen in der Häuslichkeit aktuell gewährleistet sei und dem Wunsch der Betroffenen entspreche. Aufgrund der widersprüchlichen Befunde hat das erkennende Gericht die Wohnung selbst in Augenschein genommen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme befindet sich die Wohnung der Betroffenen insgesamt in einem geordneten und aufgeräumten Zustand. Sie umfasst auch ein Gästezimmer, in dem jederzeit eine weitere Person nächtigen und der Betroffenen behilflich sein kann, wovon der Beteiligte zu 1 nach eigenen glaubhaften Angaben oftmals Gebrauch macht. Zwar bestehen in der Wohnung zwei Stolperfallen (Badewanne im Bad; Schwelle zwischen Wohnzimmer- und Balkontür). Die Betroffene demonstrierte jedoch während der Wohnungsbegehung den sicheren Einstieg in die Badewanne ohne Dritthilfe. Obgleich dies unproblematisch gelang, versicherte die Betroffene außerdem, niemals ohne Hilfe von Pflegekräften, die täglich kommen, die Badewanne zu betreten. Darüber hinaus bekundete der Beteiligte zu 1 glaubhaft, dass er wegen des Einbaus einer begehbaren Dusche unter gleichzeitiger Entfernung der Badewanne mit der Vermieterin in Verhandlung stünde. Die Betroffene versicherte zudem, dass sie wegen der hohen Schwelle den Balkon nur mit Hilfe anderer Personen betrete. Im Übrigen sei nach glaubhaften Angaben des Beteiligten zu 1 geplant, die Gefahrensituation bautechnisch zu lösen. Ausweislich des umfassenden Berichts des Beteiligten zu 1 vom 30.10.2021 (Bl. 14 – 16 d.A.), in dem er insbesondere auf den Wochenplan mit festen Terminen verweist (Bl. 16 RS d.A.), ist auch die Versorgung und Pflege der Betroffenen in ihrer Mietwohnung nachhaltig gesichert. Schließlich betonte die Betroffene während der Anhörung mehrfach, dass es ihr sehnlichster Wunsch und Wille sei, in ihrer Wohnung, in der sie bereits seit Jahrzehnten lebt, bleiben zu dürfen. Sie genieße hier ihre Ruhe und gewohnte Umgebung. Gerade hierauf ist nach den dargelegten Grundsätzen zum Wesen der Betreuung besonders Rücksicht zu nehmen (vgl. § 1901 Abs. 1 bis 3 BGB).

16
bb) Auch im Hinblick auf den Aufgabenkreis Vermögenssorge bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 1 nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse der Betroffenen handelt. Aufgetretene Ungereimtheiten bei Bargeldabhebungen im Zeitraum vom 15.07.2018 bis 17.03.2021 vermochte der Beteiligte zu 1 insbesondere durch seinen Bericht vom 29.09.2021 (Bl. 48 ff. d.A.) im Wesentlichen auszuräumen. Darüber hinaus dient die anwaltliche und ggfls. gerichtliche Klärung und Durchsetzung finanzieller Ansprüche gegen die weiteren Beteiligten (Bl. 128 ff. d.A.) dem Wohl der Betroffenen.

17
4. Schließlich rechtfertigen auch die innerfamiliären Streitigkeiten, die u.a. durch die zunächst undurchsichtigen und erst während des Betreuungsverfahrens im Wesentlichen aufgeklärten Bargeldabhebungen des Beteiligten zu 1 provoziert wurden, weder die Bestellung eines Betreuers noch die Einrichtung einer Kontrollbetreuung. Zwar äußerte die Betroffene im Rahmen der Anhörung ihren sehnlichsten Wunsch nach innerfamiliärem Frieden zwischen den Beteiligten zu 1 bis 5. Die Chance, diesem tiefen Wunsch ihrer gemeinsamen Mutter durch Teilnahme an der gerichtlich angebotenen Mediation verantwortungsvoll Rechnung zu tragen, haben die Beteiligten zu 2 bis 5 aus Gründen, die für das Gericht im Lichte des dargestellten Wesens der Betreuung kaum nachvollziehbar sind, ausgeschlagen. In der Gesamtschau vermag jedoch dieses Verhalten der Beteiligten, das weniger das Wohl und die zwischenmenschlichen Wünsche der nur noch mit begrenzter Lebenszeit ausgestatteten Betroffenen, sondern vielmehr eigene Befindlichkeiten im Blick gehabt haben dürfte, unter betreuungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht die genannten Maßnahmen zu rechtfertigen.

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