BGH, Beschluss vom 18. August 2021 – XII ZB 151/20
1. Ein Betreuervorschlag nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB erfordert weder die Geschäftsfähigkeit noch die natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. April 2020 – XII ZB 242/19, FamRZ 2020, 1300).
2. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. April 2020 – XII ZB 242/19, FamRZ 2020, 1300).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 28. Februar 2020 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 3 zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
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Der 1922 geborene Betroffene ist der verwitwete Vater von vier Kindern, den Beteiligten zu 3 bis 5 und eines weiteren am Verfahren nicht beteiligten Sohnes. Er leidet an fortgeschrittener Demenz. Bei der Erteilung einer notariellen Vorsorgevollmacht für die Beteiligten zu 4 und 5 im Juni 2015 war er bereits geschäftsunfähig. Seit März 2019 lebt er in einem Seniorenheim.
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Das Amtsgericht hat – nach Aufgabenkreisen differenziert – teilweise die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin und teilweise die Beteiligte zu 4 als Betreuerin bestellt. Auf die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 3 und 5 hat das Landgericht – unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerden – die Beteiligten zu 4 und 5 als jeweils alleinvertretungsberechtigte Betreuer für den Aufgabenkreis der Bestimmung des Aufenthalts im Rahmen der Gesundheitssorge, Entgegennahme und Öffnen der Post, Gesundheitssorge, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen sowie Wohnungsangelegenheiten bestellt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3, mit der sie weiterhin die Bestellung eines Berufsbetreuers anstelle ihrer Geschwister erreichen möchte. Der Betroffene tritt der Rechtsbeschwerde entgegen.
II.
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Die wirksam auf die Frage der Betreuerauswahl (§ 1897 BGB) beschränkte Rechtsbeschwerde (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2020 – XII ZB 475/19 – FamRZ 2020, 778 Rn. 15 mwN) ist nicht begründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Auswahlentscheidung ausgeführt, die Auswahl der Beteiligten zu 4 und 5 als Betreuer entspreche dem grundsätzlich zu beachtenden Vorschlag des Betroffenen. Ein solcher Vorschlag, welcher auch schon vor dem Betreuungsverfahren abgegeben werden könne, erfordere in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit; vielmehr genüge es, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtue, eine bestimmte Person als Betreuer zu bestellen. Dass der Betroffene die Beteiligten zu 4 und 5 als Betreuer wünsche, ergebe sich daraus, dass er ihnen Vollmacht erteilt und diese Entscheidung im gerichtlichen Anhörungstermin vom 17. Dezember 2015 ausdrücklich bestätigt habe. Da er sich im weiteren Anhörungstermin vom 11. Oktober 2019 ebenso geäußert habe, sei nicht von einer Änderung seines Willens bis zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung auszugehen. Demgegenüber habe der Betroffene im erstgenannten Termin geäußert, die Beteiligte zu 3 hätte auf gar keinen Fall seine Betreuerin werden können.
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Es bestünden trotz der familiären Verwerfungen nach der Anregung des Betreuungsverfahrens keine Bedenken gegen die grundsätzliche Eignung der beiden Betreuer. Die Beteiligte zu 4 nehme bereits seit Mai 2016 ihre Aufgaben als Betreuerin gewissenhaft wahr. Insbesondere die medizinische Versorgung des Betroffenen sei ausweislich des Berichts des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nicht zu beanstanden. Gegen die Eignung des Beteiligten zu 5 seien keine konkreten Bedenken vorgetragen oder sonst ersichtlich. Schließlich bestehe auch kein Anhalt dafür, die Beteiligten zu 4 und 5 würden das Vermögen des Betroffenen nicht ausschließlich in dessen Interesse verwalten.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
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a) Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist grundsätzlich die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung (Senatsbeschluss vom 29. April 2020 – XII ZB 242/19 – FamRZ 2020, 1300 Rn. 26 mwN).
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Die Vorschrift des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will (Senatsbeschluss vom 29. April 2020 -XII ZB 242/19 – FamRZ 2020, 1300 Rn. 27 mwN).
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Nach § 1897 Abs. 5 Satz 1 BGB ist, wenn der Betroffene niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen Beziehungen des Betroffenen, insbesondere auf dessen persönliche Bindungen Rücksicht zu nehmen. Diese Regelung gilt auch dann, wenn der Betroffene einen nahen Angehörigen als Betreuer benannt hat. Denn der nahe Angehörige wird nach Maßgabe dieser Vorschrift „erst recht“ zum Betreuer zu bestellen sein, wenn der Betroffene ihn ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat, mag der Betroffene auch bei der Benennung nicht oder nur eingeschränkt geschäftsfähig gewesen sein. In Würdigung der in § 1897 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BGB getroffenen Wertentscheidungen wird ein naher Angehöriger des Betroffenen, der zu diesem persönliche Bindungen unterhält und den der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein und nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden können, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten seiner Bestellung entgegenstehen (Senatsbeschluss vom 17. März 2021 – XII ZB 289/20 – FamRZ 2021, 1060 Rn. 11 mwN).
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b) Soweit es um die Eignung der vorgeschlagenen Person geht, müssen die vom Gericht zu treffenden Feststellungen einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis ergeben. Bei der Frage, ob der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter sich jedoch nicht auf eine Gewichtung einzelner Umstände bzw. Vorfälle beschränken; er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die für und gegen eine Eignung sprechen könnten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. April 2020 – XII ZB 242/19 – FamRZ 2020, 1300 Rn. 27 und vom 19. Juli 2017 – XII ZB 141/16 – FamRZ 2017, 1712Rn. 22).
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Umstände von erheblichem Gewicht, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen, können sich nicht nur aus ihrer fehlenden persönlichen Eignung, sondern grundsätzlich auch aus familiären Spannungen ergeben, welche die Bestellung der gewünschten Person als Betreuer hervorrufen würde. Die Bestellung eines Familienangehörigen, den der Betroffene als Betreuer wünscht, kann deshalb auch dann mit dem Wohl des Betroffenen unvereinbar sein, wenn dieser entweder persönlich unter den Spannungen zwischen seinen Familienangehörigen leidet oder wenn die Regelung seiner wirtschaftlichen oder sonstigen Verhältnisse wegen der Spannungen innerhalb der Familie nicht gewährleistet ist (Senatsbeschluss vom 12. Februar 2020 – XII ZB 475/19 – FamRZ 2020, 778 Rn. 28 mwN).
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Die vom Tatrichter vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer kann gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Sie ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 – XII ZB 199/20 – FamRZ 2021, 222 Rn. 22 mwN).
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c) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Betreuerauswahl des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden.
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Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3 ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Erteilung der Vorsorgevollmacht im Juni 2015 im Zustand der Geschäftsunfähigkeit zugleich den natürlichen Willen des Betroffenen erkennen lässt, die Beteiligten zu 4 und 5 zu Betreuern zu bestellen. Die Mutmaßung der Rechtsbeschwerde, der Wille des Betroffenen bei der Beurkundung der Vollmacht könne von der Beteiligten zu 4 und deren Ehemann „überformt“ gewesen sein, weil diese bei der Beurkundung anwesend waren und den Termin organisiert hatten, ist durch die persönlichen Anhörungen des Betroffenen vor dem Amtsgericht im Dezember 2015 und vor dem Beschwerdegericht im Oktober 2019 widerlegt, in denen er seinen Betreuerwunsch ausweislich der Anhörungsvermerke wiederholt hat.
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Frei von Rechtsfehlern ist das Beschwerdegericht weiter davon ausgegangen, dass konkrete Bedenken gegen die Führung der Betreuung durch die Beteiligten zu 4 und 5 weder dargelegt noch ersichtlich sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Gesamtwürdigung insbesondere die familiären Streitigkeiten, die die Beteiligte zu 3 durch die Anregung des Betreuungsverfahrens ausgelöst hat, ebenso berücksichtigt wie die bisherige Wahrnehmung der Gesundheitsversorgung und der finanziellen Interessen des Betroffenen durch die Beteiligten zu 4 und 5. Die Rechtsbeschwerde vermag für ihre anderweitige Bewertung keine tatsächlichen Anhaltspunkte aufzuzeigen. Dies gilt insbesondere auch, soweit die Beteiligte zu 3 auf die familiären Verwerfungen als Folge der Anregung des Betreuungsverfahrens verweist, da weder dargelegt noch ersichtlich ist, dass der Streit unter den Geschwistern sich nachteilig auf das Wohl des Betroffenen auswirkt.
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Die angefochtene Entscheidung ist im vorliegenden Einzelfall auch mit Blick auf die Regelung des § 1899 Abs. 1 BGB nicht zu beanstanden. Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit im Übrigen keine Einwendungen.
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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).