LG Darmstadt, Beschluss vom 02. März 2020 – 5 T 697/19
Zur Anordnung einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen
Tenor
Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Offenbach vom 12.11.2019 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.
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Auf Anregung der Tochter des Betroffenen leitete das Amtsgericht im Februar 2019 ein Betreuungsverfahren für den Betroffenen ein. Dieses gestaltete sich zunächst schwierig, da der Betroffene weder für die Betreuungsbehörde noch für den Sachverständigen erreichbar war. Auch eine Kontaktaufnahme über die Ehefrau scheiterte zunächst; diese gab an, der Betroffene würde ihr nichts mitteilen, sondern nur mit ihr sprechen, um sie zu beschimpfen. Auch esse er die von ihr zubereiteten Mahlzeiten nicht mehr, da er Angst habe, vergiftet zu werden.
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Bei der Anhörung durch das Amtsgericht berichtete der Betroffene sprunghaft über diverse Ereignisse aus seinem Leben, wobei die Angaben für den Amtsrichter kaum verständlich waren und zunehmend paranoid wirkten.
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Gegenüber dem Sachverständigen Dr. A zeigte der Betroffene deutliche formale und inhaltliche Denkstörungen sowie eine zeitliche Desorientiertheit. Der Betroffene berichtete, er sei in der Vergangenheit falsch behandelt worden und habe bereits 25 Ärzte vor Gericht gebracht. Etwa 80% aller Patienten würden falsch behandelt. Er vertraue aktuell nur noch Naturärzten. Grund für seine Arztbesuche sei seine Schlaflosigkeit gewesen, die daher rühre, dass er in einer Halle giftigen Substanzen ausgesetzt gewesen sei. Den Boden der Halle habe er wie zerbrochenes Eis wahrgenommen und den Eindruck gehabt, dass das Eis in seinen Augen zerborsten wäre. Der Betroffene erklärte außerdem, er sei entführt und verschleppt worden, ohne hierzu nähere Angaben machen zu können. Weshalb ihm der Führerschein entzogen worden war, konnte der Betroffene nicht angeben. Auf die Frage, weshalb er glaube, von seiner Frau vergiftet zu werden, erklärte der Betroffene, er werde von einem marokkanischen Nachbarn bedroht, wisse den Grund hierfür aber nicht. Ferner gab er an, er bete sehr viel und habe besondere Fähigkeiten; jeder wolle so sein wie er.
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Die Ehefrau des Betroffenen berichtete, dass der Betroffene seit ca. 20 Jahren Symptome einer psychischen Erkrankung zeige, die unter Einnahme der verordneten Medikation deutlich schwächer ausgeprägt seien. Der Betroffene habe die Medikamente jedoch abgesetzt. Der familiäre Kontakt sei in den vergangenen 2 Jahren praktisch zusammengebrochen, der Betroffene hege Vergiftungsideen. Die finanziellen Angelegenheiten hätten sich seit dem Entzug des Führerscheins wieder etwas entspannt. Vorher habe der Betroffene sich unter anderem ein Motorrad und ein Auto gekauft, deren Verbleib jedoch unklar seien. Die Tochter des Betroffenen berichtete von einer Wesensveränderung, die bereits seit ca. 5 Jahren feststellbar sei; der Betroffene glaube, dass alle um ihn herum schlecht seien. Der Betroffene, der früher regelmäßig gearbeitet habe, sei mittlerweile erwerbsunfähig verrentet und gebe unangemessen Geld aus. So kaufe er immer wieder Handys, da er glaube, diese würden abgehört. In akuten Phasen lasse er keinen Kontakt zu.
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Der Sachverständige Dr. A diagnostizierte in seinem Gutachten vom 10.10.2019 eine paranoide Schizophrenie, die anamnestisch schon seit 20 Jahren bestehe. Die Krankheit äußere sich durch Störungen der Realitätswahrnehmung und –verarbeitung sowie Störungen der Gefühlsregulation, des logischen Denkens und des Antriebs. Eine Betreuung sei für den Betroffenen, der keinen freien Willen bilden könne, erforderlich.
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Bei der erneuten Anhörung durch das Amtsgericht erklärte der Betroffene am 11.10.2019, er brauche keine ärztliche Hilfe, sondern müsse sich nur ausruhen. Außerdem müsse er arbeiten, damit er sich „die Naturmedizin“ leisten könne.
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Mit Beschluss vom 12.11.2019 richtete das Amtsgericht eine Betreuung mit den vom Sachverständigen für erforderlich erachteten Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme und Öffnen der Post, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung, Unterhalt und soziale Sicherung sowie Vertretung gegenüber Heim- bzw. Klinikleitung, Behörden, Versicherungen und sonstigen Institutionen ein (Überprüfungsfrist: 11.11.2022) und bestellte die Beteiligte zu 1) zur Betreuerin.
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Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegte und erklärt, er benötige keine Unterstützung durch einen Betreuer. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat der Betroffene im Dezember 2019 diverse zusammenhanglose Schriftstücke mit der handschriftlichen Aufforderung „Bitte prüfen“ eingereicht, unter anderem einen Strafbefehl des Amtsgerichts vom 01.11.2019 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, ein 22 Jahre altes Rechtsanwaltsschreiben aus einem arbeitsgerichtlichen Verfahren sowie einen Vergütungsbeschluss von 1998 und einen Gutachtenauftrag von 1998 aus einem früheren Betreuungsverfahren.
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Der Verfahrenspfleger hat sich der Beschwerde nicht angeschlossen. Der Betroffene sei nicht in der Lage, seine Angelegenheiten eigenständig wahrzunehmen. Dieser vermute eine große Verschwörung und glaube, dass alle „unter einer Decke stecken“ würden und ihm schaden wollten. Nach einem längeren Telefongespräch mit dem Verfahrenspfleger habe der Betroffene erklärt, dass auch der Verfahrenspfleger mit den anderen unter einer Decke stecke. Der Betroffene habe hierbei trotz mehrfacher Nachfrage weder den Grund seines Telefonanrufs noch den Grund für den Entzug seiner Fahrerlaubnis nennen können und sei zu einem sachlich-inhaltlichen Gespräch nicht in der Lage gewesen. Wahnsymptome sowie deutliche Störungen der Auffassungsgabe seien deutlich erkennbar gewesen.
II.
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Die Beschwerde des Betroffenen ist zulässig (§§ 58, 63, 64 FamFG), aber nicht begründet.
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Das Amtsgericht hat zu Recht die Betreuung mit den im Beschluss vom 12.11.2019 aufgeführten Aufgabenkreisen angeordnet und die Beteiligte zu 1) zur Betreuerin bestellt.
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1. Nach § 1896 Abs. 1 BGB hat das Vormundschaftsgericht dann, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer zu bestellen, wobei nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift ein Betreuer nur für die Aufgabenkreise bestellt werden darf, in denen die Betreuung erforderlich ist und eine Betreuungsanordnung gegen den freien Willen des Betroffenen unzulässig ist (§ 1896 Abs.1a BGB).
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2. Diese Voraussetzungen sind weiterhin erfüllt.
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a) Der Betroffene leidet nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. A an einer psychischen Erkrankung im Sinne von § 1896 Abs.1 BGB, nämlich einer paranoiden Schizophrenie. Die Erkrankung äußert sich durch deutliche inhaltliche und formale Denkstörungen, Beeinträchtigungen des Affekts sowie Sinnestäuschungen, Verschwörungs- und Vergiftungsphantasien.
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b) Aufgrund der Erkrankung ist die Unterstützung des Betroffenen durch einen Betreuer in den vom Amtsgericht angeordneten Aufgabenkreisen erforderlich. Die Erkrankung hat bereits in den vergangenen Jahren zu einem massiven Verlust sozialer Kontakte, finanziellen Verlusten und dem Abgleiten in die Arbeitslosigkeit / Erwerbsunfähigkeit geführt. Der Betroffene, der seine krankheitsbedingten Einschränkungen nicht wahrzunehmen vermag und seine
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Alltagskompetenzen massiv überschätzt, ist ersichtlich nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten ohne die Unterstützung eines Betreuers zu bewältigen. Dies zeigen auch die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingereichten, teilweise mehr als 20 Jahre alten und mit dem hiesigen Verfahren zum Teil in keinem Zusammenhang stehenden Unterlagen; insoweit ist der Betroffene erkennbar nicht in der Lage, behördliche Prozesse zu verstehen oder Zuständigkeiten und zur Verfügung stehende Rechtsmittel – z.B. gegen den Entzug der Fahrerlaubnis, dessen Grund er krankheitsbedingt nicht zu benennen vermag – zu erfassen.
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Wie der Sachverständige zutreffend ausgeführt hat, ist die Erkrankung grundsätzlich einer Therapie mit antipsychotischer Medikation und sozialpsychiatrischer Behandlung gut zugänglich, auch wenn bei dem Betroffenen bereits eine Chronifizierung eingetreten ist. Eigenständig ist der Betroffene nicht in der Lage, eine adäquate Behandlung einzuleiten und konsequent über einen längeren Zeitraum durchzuhalten.
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c) Der Betroffene lehnt die Betreuung zwar ab. Diese Ablehnung ist jedoch unbeachtlich, da der Betroffene nicht zu einer freien Willensbildung (§ 1896 Abs. 1a BGB) in der Lage ist.
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Eine freie Willensbildung ist nur möglich, wenn ein Betroffener in der Lage ist, die wesentlichen für und gegen eine Maßnahme sprechenden Umstände zu erkennen und gegeneinander abzuwägen (Einsichtsfähigkeit) sowie nach dieser Einsicht zu handeln. Die Einsichtsfähigkeit setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine betreuungsrechtliche Maßnahme sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH Beschluss vom 09.02.2011, Az. XII ZB 526/10; OLG Hamm FamRZ 2009, 1436; OLG Brandenburg FamRZ 2009, 152; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 1710; OLG Köln FGPrax 2006, 117).
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Nach diesen Kriterien ist der Betroffene nicht zu einer freien Willensbildung bezüglich der Notwendigkeit einer Betreuung mit den angeordneten Aufgabenkreisen in der Lage, da es ihm bereits an einer Krankheitseinsicht fehlt. Er ist nicht fähig, die Erkrankung und die damit einhergehenden Einschränkungen bei der Bewältigung seiner Angelegenheiten zu erfassen und auf dieser Tatsachengrundlage die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen.
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Von einer Anhörung konnte abgesehen werden. Das Amtsgericht hat den Betroffenen mehrfach angehört, wobei der Eindruck bestätigt wird durch den Inhalt des Betreuungsgutachtens sowie die Angaben des Verfahrenspflegers. Von einer erneuten Anhörung wären unter diesen Umständen keine neuen, für die Entscheidung erheblichen Erkenntnisse zu erwarten (§ 68 Abs.3 FamFG).
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Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 25 Abs. 2 GNotKG). Für eine Anordnung nach § 81 Abs.2 FamFG besteht keine Veranlassung.