BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 183/20
Die zivilrechtliche Unterbringung eines Betroffenen setzt voraus, dass er aufgrund seiner psychischen Krankheit oder seiner geistigen oder seelischen Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 13. April 2016 – XII ZB 95/16, FamRZ 2016, 1068 und XII ZB 236/15, FamRZ 2016, 1065).(Rn.11)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. Höhe vom 26. Februar 2020 und der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. April 2020 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Die in den Rechtsmittelinstanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
1
Für die im Jahre 1957 geborene Betroffene ist seit August 2018 (erneut) eine Betreuung mit umfassendem Aufgabenkreis eingerichtet und die Beteiligte zu 2 als Berufsbetreuerin bestellt. Die Betroffene leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie sowie einem sich zunehmend verschlechternden Allgemeinzustand. Unter anderem neigt sie dazu, große Flüssigkeitsmengen zu sich zu nehmen, was bereits wiederholt zu lebensbedrohlichen Elektrolytentgleisungen geführt hat. Sie war seit Anfang Januar 2020 aufgrund einstweiliger Anordnung zur Behandlung in einer Fachklinik untergebracht.
2
Auf den von der Betreuerin gestellten Antrag, die weitere Unterbringung der Betroffenen für die Dauer eines halben Jahres zu genehmigen, hat das Amtsgericht ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses hat es der Betroffenen im Rahmen der persönlichen Anhörung am 26. Februar 2020 übergeben und mit Beschluss vom selben Tag die Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 25. August 2020 genehmigt. Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht – nach telefonischer Anhörung der Betroffenen am 31. März 2020 – nicht abgeholfen hat. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen.
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Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene nach dem Ende der genehmigten Unterbringung die Feststellung, dass sie durch die Beschlüsse der beiden Vorinstanzen in ihren Rechten verletzt worden ist.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. In entsprechender Anwendung von § 62 Abs. 1 FamFG ist festzustellen, dass die Entscheidungen von Amts- und Landgericht die Betroffene in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt haben.
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1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass der Betroffenen das Sachverständigengutachten erst im Termin zur persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht übergeben worden ist und das Landgericht von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen hat.
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a) Die Verwertung des Sachverständigengutachtens durch das Amtsgericht als Entscheidungsgrundlage verstößt gegen § 37 Abs. 2 FamFG und verletzt den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
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Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 FamFG erfordert, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Das setzt voraus, dass der Betroffene – vom hier nicht vorliegenden Ausnahmefall des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen – vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu in der persönlichen Anhörung zu äußern. Diesen Anforderungen genügt das amtsgerichtliche Verfahren nicht, weil das Sachverständigengutachten der Betroffenen erst in der am Tag des Beschlusserlasses erfolgten persönlichen Anhörung vom 26. Februar 2020 ausgehändigt worden ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. August 2020 – XII ZB 204/20 – juris Rn. 12 f. und vom 6. April 2016 – XII ZB 397/15 – FamRZ 2016, 1148 Rn. 11 f.).
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b) Der darin zugleich liegende Mangel der gemäß § 319 Abs. 1 FamFG erforderlichen persönlichen Anhörung der Betroffenen ist auch im Beschwerdeverfahren nicht behoben worden. Vielmehr hat das Landgericht verfahrensfehlerhaft gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen.
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Das Amtsgericht hat die Betroffene im Abhilfeverfahren zwar nochmals angehört. Unabhängig von der Frage, inwieweit diese nicht mehr zum erstinstanzlichen Rechtszug gehörende (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juni 2020 – XII ZB 574/19 – FamRZ 2020, 1590 Rn. 12 mwN), nach Erlass der mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidung erfolgende Verfahrenshandlung des Amtsgerichts dessen Verfahrensfehler zu heilen geeignet ist, ist die Anhörung aber nicht persönlich, sondern telefonisch vorgenommen worden. Der vom Amtsgericht insoweit bemühte Hinweis auf die allgemeinen Gefahren der Corona-Pandemie ist bereits im Ansatz nicht geeignet, eine Ausnahme vom Erfordernis der persönlichen Anhörung zu rechtfertigen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 – XII ZB 235/20 – zur Veröffentlichung bestimmt). Das Landgericht war mithin entgegen seiner Auffassung gemäß §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 319 Abs. 1 FamFG verpflichtet, die Anhörung erneut vorzunehmen.
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2. Die vom Amtsgericht ausgesprochene und vom Landgericht bestätigte Unterbringungsgenehmigung wird zudem auch den Anforderungen des materiellen Rechts nicht gerecht.
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Die zivilrechtliche Unterbringung eines Betroffenen setzt voraus, dass er aufgrund seiner psychischen Krankheit oder seiner geistigen oder seelischen Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. April 2016 – XII ZB 95/16 – FamRZ 2016, 1068 Rn. 7, 14 und XII ZB 236/15 – FamRZ 2016, 1065 Rn. 13 mwN). Hierzu finden sich weder im Beschluss des Amtsgerichts noch in der Beschwerdeentscheidung tragfähige Feststellungen. Das Landgericht gibt – ohne sich mit diesem Tatbestandsmerkmal explizit auseinanderzusetzen – lediglich die insoweit nicht tragende Einschätzung des Sachverständigen wieder, bei der Betroffenen lägen eine Minderung des Realitätsbezugs und der Kontrollfähigkeit sowie eine Neigung zu impulsgeleiteten Verhaltensweisen und Fremdaggressivität vor. Außerdem habe die Betreuerin ihren Eindruck mitgeteilt, dass die Betroffene wahnhaft sei und ihren Willen nicht frei von ihrer Erkrankung bilden könne. Der amtsgerichtliche Beschluss verhält sich hierzu nicht. Die durch ein Sachverständigengutachten gesicherte Feststellung, dass es der Betroffenen am freien Willen fehlt, lässt sich dem nicht entnehmen.
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3. Die Feststellung, dass die Betroffene durch die angefochtenen Beschlüsse im Sinne des § 62 Abs. 1 FamFG in ihren Rechten verletzt ist, wird sowohl durch die aufgezeigte Fehlerhaftigkeit des Verfahrens (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 8. Mai 2019 – XII ZB 2/19 – FamRZ 2019, 1181 Rn. 18 f.) als auch dadurch gerechtfertigt, dass Amts- und Landgericht zum Fehlen des freien Willens der Betroffenen als materiell-rechtliche Voraussetzung der Unterbringungsgenehmigung keine ausreichenden Feststellungen getroffen haben.
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Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Unterbringungsgenehmigung feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne dieser Vorschrift (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 – XII ZB 330/13 – FamRZ 2014, 649 Rn. 27 mwN).
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).