BGH, Beschluss vom 27. Mai 2020 – XII ZB 582/19
Auch wenn der Sachverständige den Betroffenen während der Anhörung begutachtet und eine mündliche Einschätzung zur Betreuungsbedürftigkeit abgibt, die der Richter dem Betroffenen anschließend erläutert, ist der Betroffene nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens erneut anzuhören. Dazu ist ihm dieses rechtzeitig vor dem neuen Anhörungstermin zu überlassen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 4. März 2020 – XII ZB 485/19 – juris).(Rn.6)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. Dezember 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
1
Der Betroffene und seine Ehefrau, die Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Ehefrau), wenden sich gegen die für den Betroffenen eingerichtete Betreuung.
2
Der Betroffene, der nach den Feststellungen des Landgerichts an einem dementiellen Abbauprozess des Gehirns mit Störungen der Orientierung, der Gedächtnisleistung, des Antriebs und der Urteilsfähigkeit leidet, heiratete im Februar 2019. Im März 2019 erteilten sich die Ehegatten gegenseitig notarielle Vorsorgevollmachten. Ende 2018 wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Betroffenen eingeleitet, das vor allem aus einer Vielzahl von Immobilien besteht. Grund hierfür war, dass der Betroffene keine Einkommensteuererklärungen abgegeben und Rechnungen nicht mehr beglichen hatte.
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Auf Anregung der Tochter des Betroffenen hat das Amtsgericht ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Es hat den Betroffenen wiederholt, zuletzt am 1. August 2019, angehört. Gleichzeitig hat der Sachverständige, der bei dieser Anhörung zugegen war, den Betroffenen begutachtet und in der Anhörung das vorläufige Ergebnis seiner Begutachtung mitgeteilt. Das schriftliche Sachverständigengutachten datiert vom 3. August 2019. Mit Beschluss vom 3. September 2019 hat das Amtsgericht für den anwaltlich vertretenen Betroffenen einen Berufsbetreuer mit folgendem Aufgabenkreis bestellt: Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Vertretung in Immobilienangelegenheiten und Widerruf von Vollmachten. Ferner hat das Amtsgericht angeordnet, dass der Betroffene zu Willenserklärungen in Angelegenheiten der Vermögenssorge der Einwilligung des Betreuers bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Das Landgericht hat die Beschwerden des Betroffenen und seiner Ehefrau zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Betroffene und seine Ehefrau in dessen Namen mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen durfte, weil die im ersten Rechtszug erfolgten Anhörungen verfahrensfehlerhaft waren.
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a) Einer der Zwecke der persönlichen Anhörung nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG besteht darin, den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu sichern. Diesen Zweck kann die Anhörung regelmäßig nur dann erfüllen, wenn das Sachverständigengutachten dem Betroffenen rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen wurde, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu diesem und den sich hieraus ergebenden Umständen zu äußern (Senatsbeschluss vom 4. März 2020 – XII ZB 485/19 – juris Rn. 8 mwN).
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b) Dem ist das Amtsgericht nicht gerecht geworden. Der Betroffene ist erst im letzten Anhörungstermin von dem anwesenden Sachverständigen begutachtet worden. Deshalb konnte dieser in dem Anhörungstermin lediglich eine mündliche Einschätzung abgeben. Diese hat die Amtsrichterin zwar in „einfachen Worten“ dem Betroffenen mitgeteilt. Das schriftliche Gutachten ist dann aber erst nach der Anhörung am 3. August 2019 gefertigt und dem Amtsgericht übersandt worden. Auch wenn dem Betroffenen in der Anhörung die vorläufige Einschätzung des Sachverständigen mitgeteilt worden ist, hatte er vor seiner Anhörung nicht die Möglichkeit, sich mit dem bis dahin noch nicht vorliegenden schriftlichen Gutachten auseinanderzusetzen und entsprechende Einwendungen zu formulieren. Schon aus diesem Grund hätte das Beschwerdegericht die Anhörung gemäß §§ 278 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG wiederholen müssen.
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2. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Landgericht noch die erforderlichen Feststellungen in verfahrensordnungsgemäßer Weise zu treffen haben wird.
9
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf das Folgende hin:
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a) Den Gerichtsakten ist ein Vermerk des Amtsgerichts vom 13. November 2019 zu entnehmen, wonach der Betreuer die Vollmacht bereits widerrufen hat. Hierzu wird das Landgericht Feststellungen zu treffen haben. Denn ein wirksamer Widerruf durch den mit diesem Aufgabenkreis betrauten Betreuer führt zum Erlöschen der Vollmacht, ohne dass dies rückgängig gemacht werden könnte (Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 13 mwN).
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b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde durfte das Landgericht bei der Betreuerauswahl zu Lasten der Ehefrau berücksichtigen, dass sich die Wohnung im Haupthaus in einem verwahrlosten Zustand befunden hat. Auch wenn sich die Einliegerwohnung, die von den Ehegatten mittlerweile bewohnt wird, nach den getroffenen Feststellungen in einem ordentlichen Zustand befindet, ändert das nichts daran, dass der Betroffene – nach den Angaben seiner Ehefrau – immer wieder die Wohnung im Haupthaus besucht und dort verweilt. Angesichts der dort vorherrschenden katastrophalen hygienischen Zustände stellt dies eine Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen dar.
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c) Ferner wird das Landgericht bei seiner erneuten Entscheidung gegebenenfalls zu beachten haben, dass hinsichtlich der Erforderlichkeit des zu bestimmenden Aufgabenkreises gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB konkrete tatrichterliche Feststellungen zu treffen sind. Dabei genügt es allerdings, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2018 – XII ZB 399/17 – FamRZ 2018, 1601 Rn. 19 mwN).
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d) Schließlich wird das Landgericht zu berücksichtigen haben, dass für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB besondere Anforderungen gelten.
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Ob die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderlich ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen. Auch bei einem umfangreichen Vermögen des Betreuten darf ein Einwilligungsvorbehalt nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen (Senatsbeschluss vom 15. März 2017 – XII ZB 563/16 – juris Rn. 6 mwN).
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Auch wenn der Betroffene nach den vom Landgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Amtsgerichts mit seiner Geschäftstätigkeit bezogen auf die Vermietung seiner Immobilien überfordert zu sein scheint, wendet die Rechtsbeschwerde gegen die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts zu Recht ein, dass vom Tatrichter bislang keine konkreten Anhaltspunkte für eine umfassende Vermögensgefährdung erheblicher Art festgestellt worden sind.
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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).