BGH, Urteil vom 26. Mai 2020 – VI ZR 321/19
Zum Erstattungsanspruch des Geschädigten eines Verkehrsunfalls hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den eigenen Unfallversicherer (hier: Beauftragung durch den Betreuer).(Rn.10)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 31. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer auf restlichen Schadensersatz wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls am 23. Juni 2016 in Anspruch. Der Kläger erlitt unfallbedingt schwere Verletzungen und lag mehrere Wochen im Koma. Die Ehefrau des Klägers wurde deshalb durch einstweilige Verfügung des Amtsgerichts vom 1. Juli 2016 zu dessen Betreuerin bestellt und beauftragte in dieser Funktion eine Rechtsanwaltskanzlei damit, Ansprüche des Klägers aufgrund des Unfalls gegen dessen Unfallversicherer geltend zu machen. Hierfür wurden dem Kläger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.954,46 € in Rechnung gestellt. Der Kläger verlangt von der Beklagten – neben anderen, für das Revisionsverfahren nicht mehr relevanten Schadenspositionen – anteiligen Ersatz dieser Kosten in Höhe der unstreitigen Haftungsquote der Beklagten von 80 % nebst Zinsen.
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Das Amtsgericht hat die Klage hinsichtlich dieser Schadensposition abgewiesen, die Berufung des Klägers blieb insoweit ohne Erfolg. Mit seiner vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es bestehe kein Anspruch des Klägers auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten für die Anmeldung von Ansprüchen bei seinem Unfallversicherer.
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Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählten zwar grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Teil der Schadensabwicklung sei auch die Entscheidung des Geschädigten, den Schadensfall seinem eigenen Versicherer zu melden. Auch die dadurch anfallenden Rechtsverfolgungskosten könnten ersatzfähig sein, nämlich dann, wenn sie adäquat kausal auf dem Schadensereignis beruhten und die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe unter den Umständen des Falles erforderlich gewesen sei.
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Für den vorliegenden Fall des durch Koma geschäftsunfähigen Geschädigten könne zunächst nichts anderes gelten. Die Kosten für die Regelung seiner Angelegenheiten, die er aufgrund seines Zustands nicht selbst erledigen könne, seien grundsätzlich von dem Schädiger zu tragen. Indes könne die damit verbundene Kostentragungspflicht nicht ohne die Berücksichtigung der Erforderlichkeitsgrenze auf sämtliche Folgekosten ausgedehnt werden. Der Geschädigte müsse sicherlich – gegebenenfalls durch die Beauftragung von Dritten – in die Lage versetzt werden, seine Angelegenheiten ohne Rechtsverlust regeln zu können. Allerdings könne die beispielsweise durch erhebliche Verletzungen verursachte unfallbedingte Unfähigkeit, sich selbst hierum zu kümmern, nicht dazu führen, dass zu Lasten des Schädigers jeglicher Kostenanfall gerechtfertigt sei. Sei – wie im Streitfall – der Geschädigte unfallbedingt in einer Situation, die die Bestellung einer Betreuung zur Regelung der persönlichen und finanziellen Angelegenheiten erforderlich mache, und werde eine solche angeordnet, werde der Geschädigte hierdurch bereits in die Lage versetzt, seine Angelegenheiten zu regeln bzw. regeln zu lassen. Bei den durch die Betreuungsperson verursachten Folgekosten könne bei der Beurteilung der Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB aber kein anderer Maßstab gelten als für den Geschädigten selbst. Bei der Frage der Erforderlichkeit dieser Folgekosten seien daher die gleichen Voraussetzungen zu erfüllen, als ob sie durch den Geschädigten selbst verursacht worden wären.
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Für den Streitfall komme es daher nicht auf den Umstand an, dass der geschädigte Kläger komabedingt selbst nicht in der Lage gewesen sei, seine Ansprüche bei dem Unfallversicherer anzumelden, sondern darauf, ob die Voraussetzungen, unter denen die Kosten für die Inanspruchnahme des Unfallversicherers vom Schädiger zu tragen seien, in der Person der Betreuerin erfüllt gewesen seien. Dass im Streitfall in der Person der Betreuerin Umstände gegeben gewesen seien, die nach diesen Voraussetzungen die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich hätten erscheinen lassen, sei weder ersichtlich noch vorgetragen.
II.
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Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der dem Kläger gegen die Beklagte zustehende Schadensersatzanspruch umfasse nicht die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die Anmeldung der klägerischen Ansprüche bei seinem Unfallversicherer.
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1. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteile vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 104/19, VersR 2020, 245 Rn. 10 und vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17, VersR 2017, 1155 Rn. 8, jeweils mwN).
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2. Derartige Rechtsfehler sind vorliegend nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht gegen Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verstoßen.
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a) Das Berufungsgericht legt seinen Erwägungen die gefestigte Senatsrechtsprechung zugrunde, wonach zu den nach § 249 Abs. 1 BGB ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten grundsätzlich die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen und adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zählen (vgl. nur Senatsurteile vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 45/19, VersR 2020, 174 Rn. 21; vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17, VersR 2017, 1155 Rn. 10; vom 10. Januar 2006 – VI ZR 43/05, NJW 2006, 1065 Rn. 5; jeweils mwN). Teil der Schadensabwicklung ist auch die Entscheidung, den Schadensfall einem Versicherer zu melden. Die für die Anmeldung des Versicherungsfalles bei dem eigenen Versicherer anfallenden Rechtsverfolgungskosten können daher ersatzfähig sein, wenn sie adäquat kausal auf dem Schadensereignis beruhen und die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe unter den Umständen des Falles aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. Senatsurteile vom 9. April 2019 – VI ZR 89/18, VersR 2019, 953 Rn. 26; vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17, VersR 2017, 1155 Rn. 10; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 196/11, DAR 2012, 387 Rn. 8; vom 10. Januar 2006 – VI ZR 43/05, VersR 2006, 521 Rn. 6; vom 18. Januar 2005 – VI ZR 73/04, VersR 2005, 558, juris Rn. 6 f.). Die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der konkreten Rechtsverfolgung stellen echte, vom Geschädigten darzulegende und zu beweisende Anspruchsvoraussetzungen dar und nicht lediglich im Rahmen des § 254 BGB bedeutsame, die Ersatzpflicht beschränkende und damit in die Darlegungs- und Beweislast des Schädigers fallende Umstände (vgl. nur Senatsurteil vom 9. April 2019 – VI ZR 89/18, VersR 2019, 953 Rn. 26 mwN).
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b) Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Geltendmachung der klägerischen Ansprüche gegen seinen Unfallversicherer stellt das Berufungsgericht zu Recht auf die Person der Betreuerin des Klägers ab. Dieser Ansatz folgt aus dem oben dargestellten Grundsatz, dass bei der Schadensbemessung die spezielle Situation des Geschädigten zu berücksichtigen ist (sogenannte „subjektbezogene Schadensbetrachtung“). Die Situation des Klägers hinsichtlich seiner Möglichkeiten zur Durchführung der Schadensabwicklung wird vorliegend dadurch geprägt, dass er zum fraglichen Zeitpunkt aufgrund seines Gesundheitszustandes zwar selbst nicht zur Schadensanmeldung in der Lage, ihm aber ein gesetzlicher Vertreter zur Seite gestellt war, um ihm die Wahrnehmung seiner Rechte zu ermöglichen.
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Nach dem vom Kläger vorgelegten Beschluss des Betreuungsgerichts vom 1. Juli 2016 umfasste der Aufgabenkreis der Betreuerin unter anderem auch Vermögens- und Versicherungsangelegenheiten. In diesem Wirkungskreis hatte die Betreuerin die Stellung eines gesetzlichen Vertreters, § 1902 BGB. Die Betreuung umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht, wozu der Betreuer verpflichtet ist, § 1901 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Die Geltendmachung der klägerischen Ansprüche bei dessen Unfallversicherer gehörte daher zum Pflichtenkreis der Betreuerin als gesetzlicher Vertreterin des Klägers. Ohne entgegenstehende Anhaltspunkte kann auch davon ausgegangen werden, dass sie zur Erfüllung dieser Aufgabe bereit und geeignet war, vgl. § 1897 Abs. 1, § 1898 Abs. 2 BGB.
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Entgegen der Auffassung der Revision führt die Berücksichtigung des Betreuungsverhältnisses bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten nicht zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung des unfallbedingt Geschäftsunfähigen gegenüber dem Geschädigten, der zwar geschäftsfähig, aber aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, den Schaden bei seinem Versicherer selbst geltend zu machen. Denn die Bestellung des Betreuers dient gerade dem Zweck, die interessengerechte Besorgung der rechtlichen Angelegenheiten des Geschäftsunfähigen sicherzustellen und damit die insoweit bestehenden – auch unfallbedingten – Einschränkungen auszugleichen, so dass dessen Situation hinsichtlich der Durchführung der Schadensabwicklung besser als die eines noch geschäftsfähigen Geschädigten sein kann. Dass dies reflexartig je nach den Umständen des Einzelfalls auch dem Schädiger zugutekommen kann, rechtfertigt es – anders als die Revision meint – nicht, bei der Beurteilung der Situation des Geschädigten die Handlungsmöglichkeiten und -pflichten seines gesetzlichen Vertreters außer Acht zu lassen.
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c) Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, wonach im Streitfall in der Person der Betreuerin keine Umstände vorlagen, die die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich hätten erscheinen lassen, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Übergangenen Sachvortrag zeigt die Revision insoweit nicht auf.
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Der Kläger hat in beiden Tatsacheninstanzen allein darauf abgehoben, dass er selbst aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht zur Geltendmachung seiner Ansprüche in der Lage gewesen sei und es nur darauf bei der Prüfung der Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten ankomme. Soweit die Revision meint, aus den vom Kläger vorgelegten Anlagen ergebe sich, dass es sich nicht um einen alltäglichen Schadensfall gehandelt habe, mit dem eine versicherungsrechtlich nicht vorgebildete Person erfahrungsgemäß ohne Schwierigkeiten zurechtkommen müsse, war das Berufungsgericht ohne entsprechende Behauptung des Klägers nicht verpflichtet, den Inhalt der vorgelegten Anlagen unter diesem Gesichtspunkt zu lesen und zu würdigen. Erforderlicher Sachvortrag kann nicht durch die bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden (vgl. Senatsurteile vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 213/17, VersR 2019, 377 Rn. 8 und vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15, VersR 2016, 1133 Rn. 23; BGH, Urteile vom 4. April 2014 – V ZR 110/13, MDR 2014, 1168 Rn. 15 und vom 16. Januar 2009 – V ZR 74/08, NJW 2009, 999 Rn. 20).
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Nachdem bereits das Amtsgericht bei seiner rechtlichen Beurteilung auf die Person der Betreuerin abgestellt und einen Erstattungsanspruch verneint hatte, bestand entgegen der Auffassung der Revision auch keine Pflicht des Berufungsgerichts, nach § 139 ZPO darauf hinzuweisen, dass der bisherige Vortrag des Klägers den geltend gemachten Anspruch nicht rechtfertigte.