BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019 – XII ZB 35/19
Die Beschwerdefrist für den Betroffenen in einer Betreuungssache wird nur durch Bekanntgabe der Entscheidung an ihn selbst in Lauf gesetzt. Eine Zustellung nur an den Betreuer bleibt für den Beginn der Beschwerdefrist des Betroffenen auch dann ohne Einfluss, wenn der Betreuer für den Aufgabenkreis „Entgegennahme und Öffnen der Post“ bestellt ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 – XII ZB 632/10, FamRZ 2011, 1049). (Rn.13)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
7Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ansbach vom 15. Januar 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
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Die 82jährige Betroffene leidet an einer senilen Demenz, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Am 17. Januar 2018 und am 10. November 2018 unterzeichnete sie jeweils eine auf ihren Sohn, den Beteiligten zu 3, lautende Vorsorgevollmacht. Nach den getroffenen Feststellungen war sie hierbei jeweils geschäftsunfähig.
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Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Vertretung in einem näher bezeichneten Nachlassverfahren sowie Entgegennahme und Öffnen der Post im Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises eingerichtet und den Beteiligten zu 1 als Berufsbetreuer bestimmt.
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Gegen die der Betroffenen nicht zugestellte Entscheidung hat diese durch eine von ihrem Sohn gefertigte, nicht unterschriebene Eingabe vom 12. Dezember 2018 Beschwerde eingelegt, die das Landgericht verworfen hat. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen. Während des laufenden Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Betroffene durch eine beim Amtsgericht am 17. Mai 2019 eingegangene, wortlautidentische und nunmehr unterschriebene Eingabe erneut Beschwerde eingelegt.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beschwerde der Betroffenen sei unzulässig. Eine wirksame Vertretung der Betroffenen durch ihren Sohn liege nicht vor, da die Betroffene weder am 17. Januar 2018 noch später in der Lage gewesen sei, diesen wirksam zu bevollmächtigen. Eine Umdeutung des Beschwerdeschreibens in eine Beschwerde des Sohns komme nicht in Betracht, da sowohl das Schreiben selbst als auch der Briefumschlag eindeutig die Betroffene als Absenderin ausweise.
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Im Übrigen sei das Beschwerdeschreiben weder von der Betroffenen noch von ihrem Sohn unterschrieben und auch aus diesem Grunde unzulässig.
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2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass durch die nicht unterschriebene Eingabe vom 12. Dezember 2018 keine wirksame Beschwerde eingelegt worden ist, da es an der – nach § 64 Abs. 2 Satz 4 FamFG bei schriftlicher Einlegung der Beschwerde notwendigen – Unterzeichnung der Beschwerdeschrift fehlt. Das gesetzliche Erfordernis der Unterschrift soll nämlich die Identifizierung des Urhebers einer Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen unautorisierten Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 424/14 – FamRZ 2015, 919 Rn. 7 mwN).
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b) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht die Beschwerde verworfen hat, ohne der Betroffenen binnen noch laufender Beschwerdefrist durch einen Hinweis Gelegenheit zur Heilung des in der fehlenden Unterschrift liegenden Formmangels zu geben.
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aa) Zwar sieht § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Verfahrensbeteiligten nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt indessen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG. Dieses Verfahrensgrundrecht gibt dem Verfahrensbeteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2017 – XII ZB 107/17 – FamRZ 2018, 449 Rn. 7 mwN; vgl. auch BSG Beschluss vom 20. März 2019 – B 1 KR 7/18 B – juris Rn. 10).
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Hätte das Landgericht der Betroffenen einen entsprechenden Hinweis erteilt, so hätte sie – wie inzwischen mit der am 17. Mai 2019 eingegangenen Eingabe geschehen – die Unterschrift unter die Beschwerdeschrift nachgeholt und den Formmangel dadurch geheilt.
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bb) Durch die Nachholung der Unterschrift konnte der Formmangel auch rechtzeitig geheilt werden, da die Frist zur Einlegung der Beschwerde noch nicht abgelaufen war.
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(1) Gemäß § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde binnen einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Eine Bekanntgabe an die Betroffene ist indessen nicht erfolgt.
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Zwar hat der Richter am Amtsgericht am 3. Dezember 2018 verfügt, dass eine beglaubigte Abschrift des an dem Tag ergangenen Beschlusses an die Betroffene per Postzustellungsauftrag zuzustellen sei. Die Zustellung ist dann aber ausweislich der Zustellungsurkunde vom 6. Dezember 2018 nicht an die Betroffene persönlich, sondern an den Beteiligten zu 1 als ihren Betreuer erfolgt, denn die Zustellungsurkunde ist – womöglich wegen eines vom Betreuer aufgrund seines Aufgabenkreises (unter anderem Entgegennahme und Öffnen der Post) veranlassten Nachsendeauftrags – dahin „berichtigt“ worden, dass an ihn zuzustellen ist.
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Die Zustellung an den Betreuer wirkt indessen nicht gegen die Betroffene. § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG verweist zwar hinsichtlich der Bekanntgabe durch Zustellung auf die §§ 166 bis 195 ZPO. Die Vorschrift des § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO, nach dem bei nicht prozessfähigen Personen an deren gesetzlichen Vertreter zuzustellen ist, findet auf den Betroffenen im Betreuungsverfahren aber keine Anwendung. Nach § 275 FamFG ist der Betroffene vielmehr in Betreuungssachen ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Durch diese Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Betroffene in allen mit der Betreuung zusammenhängenden Verfahren alle Angriffs- und Verteidigungsmittel selbst vorbringen und von Rechtsmitteln Gebrauch machen können. Dadurch soll die Rechtsposition der Betroffenen im Verfahrensrecht entscheidend verbessert werden (BT-Drucks. 11/4528 S. 170). Da ein Betroffener somit seine Rechte im Betreuungsverfahren aufgrund von § 275 FamFG selbst wahrnehmen kann, muss die Zustellung abweichend von § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an ihn selbst erfolgen. Das gilt auch dann, wenn der Betreuer für den Aufgabenbereich „Entgegennahme und Öffnen der Post“ bestellt ist. In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten zwar gerichtlich und außergerichtlich (§ 1902 BGB). Eine Zustellung nach § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an den gesetzlichen Vertreter des Betroffenen scheidet im Betreuungsverfahren nach dem Vorstehenden aber gerade aus (Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 – XII ZB 632/10 – FamRZ 2011, 1049 Rn. 10 mwN).
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Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der danach vorliegende Zustellungsmangel gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG iVm § 189 ZPO geheilt worden ist, da keine Feststellungen darüber getroffen sind, dass der Beschluss der Betroffenen formlos zugegangen ist. Aus dem vom Sohn gefertigten und nicht unterzeichneten Beschwerdeschreiben vom 12. Dezember 2018 lässt sich für sich genommen nicht herleiten, dass der Betroffenen das zuzustellende Schriftstück tatsächlich ausgehändigt worden ist. Diese Voraussetzung müsste aber erfüllt sein, damit die formgerechte Zustellung fingiert werden kann (Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 – XII ZB 632/10 – FamRZ 2011, 1049 Rn. 11 mwN).
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(2) Kann die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Maßgeblich für den Lauf der Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist der Umstand, dass die schriftliche Bekanntgabe des Beschlusses unterblieben ist. Warum die Bekanntgabe nicht erfolgt ist, ist ohne Belang (Senatsbeschluss vom 11. März 2015 – XII ZB 571/13 – FamRZ 2015, 839 Rn. 26 mwN).
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Die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den am 3. Dezember 2018 ergangenen Beschluss begann daher mit Ablauf des 3. Mai 2019, endete mit Ablauf des 3. Juni 2019 und ist durch die am 17. Mai 2019 eingegangene Beschwerdeschrift gewahrt.
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3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).