Zur Berechnung der Betreuervergütung bei in Wohngemeinschaft lebendem Betreuten

BGH, Beschluss vom 28. November 2018 – XII ZB 517/17

1. Lebt der Betroffene aufgrund Mietvertrags in einer Wohngemeinschaft und bezieht von einem gesonderten Anbieter ambulante Pflegeleistungen, so hält er sich damit grundsätzlich noch nicht in einem Heim gemäß § 5 Abs. 3 VBVG auf (Fortführung Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008, XII ZB 176/07, FamRZ 2008, 778).(Rn.11)

2. Sind der Vermieter und der vom Gremium der Bewohner beauftragte Pflegedienst personell miteinander verbunden, können aber die Bewohner, wenn auch nur in ihrer Gesamtheit, einen anderen Anbieter wählen, so führt dies ebenfalls noch nicht zur Einstufung als Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG.(Rn.11)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Amberg vom 6. September 2017 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Wert: 264 €

Gründe

I.

1
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütungsansprüche des Berufsbetreuers.

2
Der schwerstpflegebedürftige Betroffene lebt aufgrund eines Mietvertrags in einer betreuten Wohngemeinschaft und bezieht von einem gesonderten Anbieter ambulante Pflegeleistungen. Der Beteiligte zu 1 ist seit August 2015 als Berufsbetreuer für den Betroffenen bestellt. Er hat für die Zeit vom 11. September 2016 bis 10. Dezember 2016 die Festsetzung seiner Vergütung in Höhe von 594 € beantragt. Bei der Berechnung seines Zeitaufwands ist er davon ausgegangen, dass der bemittelte Betroffene nicht in einem Heim lebt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 VBVG).

3
Das Amtsgericht hat die Vergütung für den fraglichen Zeitraum unter Berücksichtigung des geringeren Stundenansatzes für einen Betreuten, der in einem Heim lebt, nach § 5 Abs. 1 Satz 1 VBVG auf 330 € festgesetzt. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht die Vergütung antragsgemäß auf 594 € festgesetzt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

5
1. Nach Auffassung des Landgerichts ist der Stundenansatz gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VBVG zu veranschlagen, weil die vom Betroffenen bewohnte Wohngemeinschaft nicht als Heim im Sinne des § 5 VBVG einzustufen sei. Für das Vorliegen eines Heims nach § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG sei entscheidend, ob die Einrichtung dem Zweck diene, tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten. Vorliegend nehme der Betroffene umfangreiche Betreuungsleistungen in Anspruch, der Leistungsträger sei aber nicht identisch mit dem Vermieter. Dies stehe der Annahme eines Heims zwar nicht entgegen; entscheidend sei, ob die Einrichtung dem Betreuer einen Großteil seiner Arbeit abnehme oder nicht. Eine Institution, die dem Betreuer die Organisation der Hilfe für den Betroffenen weitgehend abnehme, sei im Zweifel als Heim einzustufen. Das sei vorliegend aber nicht der Fall. Mit der Wohngemeinschaft sei lediglich ein Mietvertrag geschlossen. Die Pflegeleistungen seien nicht an den Mietvertrag gekoppelt. Der Betreuer sei nach wie vor verpflichtet, die 24-stündige Betreuung und Versorgung des Betreuten zu organisieren und sicherzustellen, auch wenn dies über das durch Zusammenschluss der Bewohner der Wohngemeinschaft gegründete Gremium erfolge. Auch wenn der Betreuer in der Entscheidungsfreiheit zusätzlich durch die Bindung an das Gremium beschränkt sei, sei die Wahl des Pflegedienstes unabhängig vom Vermieter möglich. Neben der Organisation der Dienstleister für Beatmungstechnik und künstliche Ernährung müsse der Betreuer sich unter anderem um die Organisation der Apotheke, des Optikers, des Augenarztes und der Hygieneartikel selbst kümmern.

6
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

7
Die dem Beteiligten zu 1 als Berufsbetreuer nach §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB zustehende Vergütung ist aufgrund des Stundenansatzes nach § 5 Abs. 1 Satz 2 VBVG zu bemessen. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim hat.

8
a) § 5 VBVG unterscheidet für den pauschal zu vergütenden Zeitaufwand eines Betreuers danach, ob der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat oder nicht.

9
Der danach maßgebende Begriff „Heim“ wird – in Anlehnung an § 1 Abs. 2 HeimG – in § 5 Abs. 3 VBVG definiert. Heime im Sinne des Vergütungsrechts sind danach Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind. Die Regelung beruht auf dem 2. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts. Ziel dieses Gesetzes, das auf Vorschläge einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ zurückgeht, ist es unter anderem, mit der Einführung von pauschalierenden Stundenansätzen die Abrechnung der Betreuervergütung zu vereinfachen. Praktisch sinnvoll erscheint danach ein striktes, an griffige und leicht feststellbare Kriterien gebundenes Verständnis des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs. Im Einzelfall dennoch bestehenden Schwierigkeiten ist durch eine teleologische Auslegung zu begegnen. Denn dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim lebt (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 – XII ZB 176/07FamRZ 2008, 778 Rn. 14 ff. mwN).

10
b) Nach diesen Maßstäben ist das Landgericht im vorliegenden Fall zutreffend zu der Einschätzung gelangt, dass der Betroffene nicht in einem Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG lebt.

11
aa) Die Voraussetzungen des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs sind nur dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt werden. Eine Wohnung wird nicht schon dadurch zum Heim, dass der Vermieter dem Mieter anbietet, ihm bei Erforderlichkeit Verpflegung und tatsächliche Betreuung durch einen Drittanbieter zu vermitteln, solange der Mieter nicht vertraglich gebunden ist, dieses Angebot im Bedarfsfall anzunehmen, § 5 Abs. 3 Satz 2 VBVG iVm § 1 Abs. 2 Satz 1 und 3 HeimG. Das ist hier nicht der Fall. Zwar sind Vermieter und Pflegedienst personell miteinander verbunden. Der Mietvertrag sieht aber insoweit keine Verpflichtung des Bewohners vor, sondern lässt es auch zu, dass die Bewohner, wenn auch in ihrer Gesamtheit als „Gremium“, einen anderen Pflegedienstanbieter auswählen (aA noch OLG München BtPrax 2006, 107).

12
Der von der Rechtsbeschwerde hervorgehobene Grad der beim Betroffenen bestehenden Pflegebedürftigkeit ist für die Einstufung der Einrichtung als Heim schließlich nicht ausschlaggebend. Damit steht im Einklang, dass dem Betroffenen von Seiten der Pflegeversicherung nur Leistungen zur ambulanten Pflege erbracht werden (vgl. §§ 36, 43 SGB XI).

13
bb) Auch der Zweck der Vorschrift, durch den geringeren Stundenansatz einer Entlastung des Betreuers Rechnung zu tragen, führt zu keiner anderen Einschätzung. Zwar werden hier die Wohnungsgewährung sowie die tatsächlichen Pflege- und Betreuungsleistungen durch organisatorisch verbundene Anbieter erbracht. Dadurch werden dem Betreuer aber seine Aufgaben der diesbezüglichen Organisation und Überwachung nicht abgenommen. Das Landgericht hat insoweit beanstandungsfrei festgestellt, dass sich der Betreuer etwa um die Organisation der Dienstleister für Beatmungstechnik und künstliche Ernährung sowie um die Organisation der Apotheke, des Optikers, des Augenarztes und der Hygieneartikel selbst kümmern muss. Auch die Überwachung und Auswahl des Pflegedienstanbieters ist weiterhin Aufgabe des Betreuers. Dass ein Wechsel des Anbieters nur durch das Gremium der Bewohner erfolgen kann und daher mit zusätzlichen Schwierigkeiten verbunden ist, spricht jedenfalls nicht dagegen.

14
cc) Diesem Ergebnis widerspricht es auch nicht, dass ambulante Wohnformen wie die vorliegende zunehmend in die landesrechtlichen Qualitätsvorschriften zur Heimpflege einbezogen werden (vgl. Dickmann Heimrecht 11. Aufl. Rn. 35). Denn an die stationäre Versorgung werden (hier gemäß Art. 3 Bayerisches Pflege- und Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG BY) unverändert deutlich höhere Qualitätsanforderungen als an die ambulante Versorgung (Art. 19 PfleWoqG BY) gestellt, welche nicht zuletzt auch Aufgaben des Betreuers betreffen. Das Leistungsspektrum einer stationären Versorgung geht wesentlich über das einer ambulanten Versorgung hinaus. Der Betreuer hat bei betreuten Wohngemeinschaften zudem nach Art. 22 PfleWoqG BY die Angelegenheiten des Betroffenen im Gremium der Bewohner wahrzunehmen.

15
dd) Der Betreuer wird demnach durch die hier gewählte Wohn- und Betreuungsform nicht in einer der stationären Heimunterbringung vergleichbaren Weise entlastet. Die Frage, ob mit der gewählten Form der Unterbringung und Pflege gleichwohl einzelne Entlastungen verbunden sein mögen, stellt sich wegen der hier gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht.

Dieser Beitrag wurde unter Betreuungsrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.