Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme in der Betreuung

BGH, Beschluss vom 12. September 2018 – XII ZB 87/18

Eine Zwangsmaßnahme ist nur dann gemäß § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. September 2017, XII ZB 185/17, FamRZ 2017, 2056).(Rn.19)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 15. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Der Antrag der Betroffenen auf Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Gründe
I.

1
Die 1943 geborene Betroffene wendet sich gegen die mittlerweile durch Zeitablauf erledigte Genehmigung ihrer Unterbringung und der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme. Ausweislich des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens leidet sie an einer paranoiden schizophrenen Störung.

2
Das Amtsgericht hat die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis zum 23. April 2018 sowie die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme (Medikation) bis zum 26. Februar 2018 genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen mit Beschluss vom 15. Februar 2018 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Beschlüsse begehrt.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

4
1. Bei der Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 – XII ZB 600/14FamRZ 2015, 1706 Rn. 5 mwN).

5
Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist es nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG zulässigerweise auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlüsse gerichtet (Senatsbeschluss vom 2. September 2015 – XII ZB 226/15FamRZ 2015, 2050 Rn. 6).

6
2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

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a) Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorlägen. Wie sich aus dem Gutachten ergebe, leide die Betroffene an einer chronischen paranoiden schizophrenen Störung mit fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht. Die Betroffene negiere wahnhaft bedingt das Vorliegen körperlicher Erkrankungen und verweigere in der Folge schließlich auch die Gabe überlebensnotwendiger Medikamente. So nehme die Betroffene bei Vorhofflimmern keine gerinnungshemmenden Medikamente ein, die bei einer derartigen Symptomatik überlebenssichernd seien. Ohne die Unterbringung käme es zu einer unmittelbaren vitalen Eigengefährdung. Anhaltspunkte für Zweifel an den gutachterlichen Feststellungen bestünden nicht.

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Auch die Voraussetzungen für eine Zwangsmedikation nach § 1906 a BGB lägen vor. Hierzu habe der Sachverständige ausgeführt, ohne Zwangsmedikation sei eine unmittelbare vitale Eigengefährdung zu erwarten. Die vom Amtsgericht in seiner Entscheidung aufgeführten Medikamente würden durch den Sachverständigen ausdrücklich empfohlen. Im Übrigen hat das Landgericht auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen.

9
b) Das hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.

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aa) Gegen die Genehmigung der Unterbringung ist nichts zu erinnern.

11
(1) Während das Amtsgericht die Genehmigung auf beide Alternativen des § 1906 Abs. 1 BGB gegründet hat, hat das Landgericht diese nur mit der Eigengefährdung der Betroffenen gerechtfertigt, also allein auf § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt.

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(a) Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

13
(b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung gerecht. Unter Bezugnahme auf das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten hat das Landgericht ausgeführt, die Betroffene negiere wahnhaft bedingt das Vorliegen körperlicher Erkrankungen und in der Folge schließlich auch die Gabe überlebensnotwendiger Medikamente. So nehme sie bei Vorhofflimmern keine gerinnungshemmenden Medikamente ein, die bei einer derartigen Symptomatik überlebenssichernd seien. Diese Feststellungen genügen, um eine Eigengefährdung i.S.d. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu begründen.

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(2) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist auch die Dauer der Unterbringung nicht zu beanstanden.

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(a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Prognose, welche Dauer für die Unterbringung erforderlich ist, regelmäßig auf Grundlage des einzuholenden Sachverständigengutachtens vorzunehmen. Der Fristablauf hat sich dabei grundsätzlich an dem Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens zu orientieren und nicht an der späteren gerichtlichen Entscheidung (Senatsbeschluss vom 13. April 2016 – XII ZB 236/15FamRZ 2016, 1065 Rn. 23 mwN).

16
(b) Gemessen hieran ist die genehmigte Unterbringungsdauer noch vertretbar.

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Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 29. Januar 2018 die Unterbringung der Betroffenen bis zum 23. April 2018 genehmigt und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 10. Januar 2018 ausgeführt, die geschlossene Unterbringung der Betroffenen sollte eine Dauer von zwölf Wochen „nicht unterschreiten“. Soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, dass die zwölf Wochen vorzeitig abgelaufen seien, verkennt sie, dass der Sachverständige die von ihm vorgeschlagene Mindestfrist auf den Zeitraum bezieht, in dem der Betroffenen Medikamente zu verabreichen sind.

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bb) Ebenso wenig ist die Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme rechtsbeschwerderechtlich zu beanstanden. Insbesondere halten die Feststellungen zur Vornahme des nach § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB notwendigen Überzeugungsversuchs einer rechtlichen Überprüfung stand.

19
(1) Eine Zwangsmaßnahme ist nur dann gemäß § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (Senatsbeschluss vom 13. September 2017 – XII ZB 185/17FamRZ 2017, 2056 Rn. 6).

20
(2) Dem wird die angefochtene Entscheidung noch gerecht. Zwar weist die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass das Landgericht hierzu selbst keine Feststellungen getroffen hat. Es hat aber auf die Begründung des Amtsgerichts Bezug genommen. Dieses hat ausgeführt, dass die Betroffene die notwendige Behandlung „trotz hinreichender Versuche einer freiwilligen Medikation“ ablehne. Auch wenn der Rechtsbeschwerde zuzugeben ist, dass diese Feststellungen für sich genommen recht knapp ausgefallen sind, führt dies jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung. Denn das Amtsgericht hat vor seiner Entscheidung die behandelnde Klinik ausdrücklich um Mitteilung über die Versuche gebeten, die Betroffene zu einer freiwilligen Medikation zu bewegen. Das Antwortschreiben der Klinik vom 25. Januar 2018, in dem geschildert wird, wie im Einzelnen versucht worden ist, die Betroffene zu überzeugen, hat das Amtsgericht mit seinem Beschluss unter anderem auch an die Betroffene übersandt.

21
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

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