BGH, Beschluss vom 18. Juli 2018 – XII ZB 167/18
1. Zu den Voraussetzungen der zivilrechtlichen Unterbringung zum Schutz vor Selbstgefährdung bei einem alkoholkranken Betroffenen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016, XII ZB 317/15, FamRZ 2016, 807).(Rn.9)
2. Zur Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts bei laufendem Verbraucherinsolvenzverfahren (Fortführung von Senatsbeschluss vom 13. September 2017, XII ZB 157/17, FamRZ 2017, 1963).(Rn.15)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 14. März 2018 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
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Der 55jährige Betroffene leidet seit vielen Jahren unter einer schweren Alkoholkrankheit, wegen der er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Im Mai 2017 wurde für ihn eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Regelung des Postverkehrs, Vermögensangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern eingerichtet.
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Durch Beschlüsse vom 15. Februar 2018 hat das Amtsgericht einen Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten angeordnet und die geschlossene Unterbringung des Betroffenen längstens bis zum 15. Februar 2019 genehmigt.
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Das Landgericht hat die Beschwerden des Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
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1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Bei dem Betroffenen liege eine langjährige und schwerste Alkoholabhängigkeit vor, die mit einem fortgeschrittenen Persönlichkeitsabbau einhergehe. In den Jahren 2016 und 2017 habe er sich ca. 20- bis 30-mal in einer Klinik befunden, wobei im Jahre 2017 eine deutliche Zunahme der Aufenthalte festzustellen gewesen sei. Es bestehe der dringende Verdacht auf eine beginnende Alkoholdemenz in Form eines Korsakow-Syndroms. Hinzu komme, dass der Betroffene in den letzten Jahren immer wieder prolongierte, epileptische Krampfanfälle im Zusammenhang mit Alkoholkonsum bzw. einer Entzugssymptomatik erlitten habe, bei denen er teils so schwer verletzt worden sei, dass er habe operiert werden müssen. Bei einem seiner schweren Stürze habe sich das Gehirn so verschoben, dass eine Punktion habe erfolgen müssen, und es zu einem teilweisen Abbau bzw. einer Auflösung von Gehirnmasse gekommen sei. Dies habe zu massiven Denkstörungen und dem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses geführt. Selbst wenn der Betroffene sich davon wieder regeneriert habe, sei es bereits zu irreversiblen Schäden gekommen. Im Falle seiner Entlassung in die häusliche Umgebung sei wie in der Vergangenheit mit Rückfällen und schwersten Verletzungen zu rechnen. Der Betroffene bagatellisiere seine Erkrankung und sei in Bezug darauf zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage. Seine eigenen Vorstellungen über eine ambulante Therapie reichten keinesfalls aus, um ihn vor Rückfällen bzw. einem gegebenenfalls tödlichen weiteren Sturz zu bewahren. Mildere Maßnahmen als die geschlossene Unterbringung kämen nicht in Betracht. Die Unterbringungsdauer von einem Jahr sei erforderlich, um den Betroffenen durch eine längerfristige Abstinenz und ausreichende Versorgung insoweit zu stabilisieren, dass er dann gegebenenfalls in ein offenes betreutes Wohnen wechseln könne.
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Auch der Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten sei unbedingt erforderlich, da der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, seinen Willen hinsichtlich der notwendigen Kontrolle über die zur Verfügung stehenden Mittel frei zu bestimmen. Weil er die Übersicht über seine Zahlungsverpflichtungen krankheitsbedingt verloren habe, sei es zu einem Verbraucherinsolvenzverfahren gekommen. Durch eigenständige Vermögensverfügungen gefährde er den Erfolg des Verfahrens. An Absprachen mit dem Betreuer halte er sich krankheitsbedingt ebenfalls nicht.
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2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Die Beschwerdeentscheidung zur Unterbringungsgenehmigung wird von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB getragen. Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
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aa) Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden darf. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen, insbesondere einer psychischen Erkrankung, steht oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat. Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen. Die zivilrechtliche Unterbringung ist – wie das Betreuungsrecht insgesamt – ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist. Zwar steht es nach der Verfassung in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, darf aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Betroffenen bestimmt werden, sich frei zu entschließen. Mithin setzt eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 – XII ZB 317/15 – FamRZ 2016, 807 Rn. 3 mwN).
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bb) Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze rechtsfehlerfrei das Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben ohne Erfolg.
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Der für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung als Betreuer bestellte Beteiligte zu 1 hat die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen beantragt. Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens sowie der vom Beschwerdegericht durchgeführten persönlichen Anhörung festgestellt, dass der Betroffene an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet. Diese besteht bei einer hochgradigen Alkoholabhängigkeit in gravierenden Folgeschäden aufgrund epileptischer Krampfanfälle im Zusammenhang mit Alkoholkonsum, die unter anderem zu einem teilweisen Abbau bzw. einer Auflösung von Gehirnmasse geführt haben. Ferner hat das Beschwerdegericht gestützt auf das Sachverständigengutachten festgestellt, dass bei dem Betroffenen ohne eine Unterbringung krankheitsbedingt ein alsbaldiger Rückfall zu erwarten ist, durch den sich die Erkrankung weiter demenziell im Sinne eines Korsakow-Syndroms entwickeln und damit ein erheblicher Gesundheitsschaden im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB eintreten würde. Das Beschwerdegericht hat zudem festgestellt, dass außerhalb der geschlossenen Station mit weiteren schweren Stürzen und erheblichen Folgeschäden bis hin zur Todesgefahr zu rechnen ist.
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Das Vorliegen eines freien Willens hat das Beschwerdegericht sachverständig beraten ausdrücklich verneint, weil es dem Betroffenen an ausreichender Krankheitseinsicht zumindest hinsichtlich der Schwere seiner Erkrankung fehlt. Ohne eine solche ist aber eine freie Willensbestimmung mit Blick auf die Unterbringung nicht möglich (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 – XII ZB 317/15 – FamRZ 2016, 807 Rn. 3 mwN).
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b) Ebenfalls erfüllt sind die Voraussetzungen der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts.
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aa) Soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, ordnet das Betreuungsgericht nach § 1903 Abs. 1 BGB an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen.
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Eine Gefahr für das Vermögen des Betreuten kann sich auch daraus ergeben, dass er sein Vermögen nicht überblicken und verwalten kann. Allerdings kann ein Einwilligungsvorbehalt nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit bedeutet dabei auch, dass der Einwilligungsvorbehalt je nach den Umständen auf ein einzelnes Objekt oder eine bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2017 – XII ZB 157/17 – FamRZ 2017, 1963 Rn. 17 mwN).
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bb) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung noch gerecht.
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Nach den getroffenen Feststellungen ist der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage, seine Zahlungsverpflichtungen zu überblicken und seine zur Verfügung stehenden Mittel zu kontrollieren. Dies hat bereits zu Vermögensschädigungen geführt, die letztlich in ein Verbraucherinsolvenzverfahren mündeten. Aus der fehlenden Fähigkeit des Betroffenen zur Kontrolle über seine eigenen Finanzen und daraus, dass er sich nicht an Absprachen mit dem Betreuer hält, erwachsen erhebliche Gefahren für die zum Wohle des Betroffenen anzustrebende Restschuldbefreiung. Diese erfordert die Einhaltung der in § 295 InsO normierten Obliegenheiten, insbesondere Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder zu leisten und keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil zu verschaffen (§ 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Um dies nicht durch krankheitsbedingt unbedachte Verfügungen des Betroffenen zu gefährden, bedarf es des Einwilligungsvorbehalts, der in dem Fall auch nicht auf ein einzelnes Objekt oder eine bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann.
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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).