BGH, Beschluss vom 07.03.2012 – XII ZB 583/11
1. Eine Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. April 2011, XII ZB 584/10, FamRZ 2011, 964 Rn. 15 mwN).(Rn.12)
2. Die Bestellung eines Betreuers muss verhältnismäßig sein, weshalb weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen dürfen; dabei gilt der Grundsatz der Erforderlichkeit auch im Bereich der Vermögenssorge (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011, XII ZB 80/11, FamRZ 2011, 1391 Rn. 9).(Rn.13)
3. Der Begriff „Aufgabenkreis“ im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB schließt nicht aus, dem Betreuer gegebenenfalls nur eine einzige Angelegenheit zuzuweisen (BayObLG München, 13. Dezember 2000, 3Z BR 353/00, NJWE-FER 2001, 151).(Rn.13)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen und des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 26. Oktober 2011 aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Betroffenen und des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Alzey vom 31. August 2011 aufgehoben.
Das Beschwerde- und das Rechtsbeschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 KostO). Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt (§ 307 FamFG).
Beschwerdewert: 3.000 €
Gründe
I.
1
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Anordnung der Betreuung.
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Mit notarieller Urkunde vom 25. Januar 2005 erteilte der Betroffene dem Beteiligten zu 1 Generalvollmacht und damit Vollmacht und Auftrag, ihn in allen Angelegenheiten gegenüber jedermann, insbesondere Gerichten, Behörden, Privaten, Banken und Sparkassen zu vertreten.
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Im Dezember 2010 hat ein Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht die Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen beantragt und dies damit begründet, dass gegen den Betroffenen ein Vollstreckungstitel bestehe und der Beteiligte zu 1 neben der Liquidation der Forderung auch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verhindere, weshalb bereits Haftbefehl ergangen sei.
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Durch Beschluss vom 31. August 2011 hat das Amtsgericht die Beteiligte zu 2 zur Betreuerin des Betroffenen bestellt mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, wobei die Entscheidung spätestens bis zum 31. August 2018 zu überprüfen sei. Die Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Betroffene und der Beteiligte zu 1 mit ihrer Rechtsbeschwerde.
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Der Senat hat auf Antrag der Beschwerdeführer mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlusses ausgesetzt.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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a) Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, infolge der unstreitig bei dem Betroffenen wegen seiner Demenzerkrankung vorliegenden Betreuungsbedürftigkeit sei er nicht in der Lage, die Aufgabenbereiche der Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden etc. sowie Entgegennahme der entsprechenden Post selbständig zu regeln. Die Bestellung einer Betreuerin für die im Beschluss des Amtsgerichts aufgeführten Bereiche sei trotz bestehender Vollmacht für den Beteiligten zu 1 auch erforderlich. Dieser verhindere bzw. verzögere die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bzw. die Liquidation eines rechtskräftigen Titels des Amtsgerichts. Es bedürfe daher der Bestellung eines Betreuers, um die ordnungsgemäße Abwicklung der entsprechenden Vorgänge zu gewährleisten.
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b) Diese Ausführungen halten einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.
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aa) Gemäß § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.
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Eine – wie hier zugunsten des Beteiligten zu 1 erteilte – Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers allerdings dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründen. Dies ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Senatsbeschluss vom 13. April 2011 – XII ZB 584/10 – FamRZ 2011, 964 Rn. 15 mwN).
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Die Bestellung eines Betreuers muss zudem verhältnismäßig sein, weshalb weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen dürfen; dabei gilt der Grundsatz der Erforderlichkeit auch im Bereich der Vermögenssorge (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 – XII ZB 80/11 – FamRZ 2011, 1391 Rn. 9). Der Begriff „Aufgabenkreis“ im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB schließt nicht aus, dem Betreuer gegebenenfalls nur eine einzige Angelegenheit zuzuweisen (BayObLG NJWE-FER 2001, 151).
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Der Tatrichter entscheidet über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 13. April 2011 – XII ZB 584/10 – FamRZ 2011, 964 Rn. 16 mwN).
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bb) Gemessen hieran kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben.
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(1) Das Landgericht hat sich bei seiner Entscheidung auf die Feststellung beschränkt, dass der Beteiligte zu 1 die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bzw. die Liquidation eines rechtskräftigen Titels des Amtsgerichts verhindere bzw. verzögere. Weitere Feststellungen zu der Frage, ob der Bevollmächtigte ungeeignet ist, finden sich weder in der landgerichtlichen noch in der amtsgerichtlichen Entscheidung. Erwägungen zu der Frage, warum der Beteiligte zu 1 nicht kooperativ ist, lassen sich der Begründung nicht entnehmen. Nach der Entscheidung bleibt offen, ob es möglicherweise berechtigte Einwendungen seitens des Bevollmächtigten gegen die Forderung bzw. Vollstreckung gibt. Jedenfalls lässt die Begründung nicht erkennen, ob der Beteiligte zu 1 tatsächlich ungeeignet ist und ob das Beschwerdegericht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen hat sowie seine Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht.
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(2) Im Übrigen ist die vom Amtsgericht angeordnete Betreuung mit den uneingeschränkten Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern bei einer Überprüfung erst zum 31. August 2018 unverhältnismäßig. Anlass für die Einrichtung der Betreuung war der „Antrag“ des Gerichtsvollziehers, den er gestellt hat, um die Zwangsvollstreckung aus einem bestimmten Titel sicherzustellen, der sich auf eine Gesamtforderung von rund 39 € beläuft. Demgemäß ist der Begründung der Beschwerdeentscheidung zu entnehmen, dass es der Bestellung eines Betreuers allein deshalb bedürfe, um die ordnungsgemäße Abwicklung der entsprechenden Vorgänge zu gewährleisten. Ob es hier angezeigt gewesen wäre, einen Betreuer nur zur Sicherstellung der genannten Zwangsvollstreckung zu bestellen, seine Bestellung mithin auf diese konkrete Maßnahme zu beschränken, kann dahinstehen. Denn ein Bedürfnis hierfür ist entfallen, weil die titulierte Forderung mittlerweile beglichen worden ist, was bereits in der Rechtsbeschwerde ausgeführt sowie von der Betreuerin bestätigt wurde und demgemäß vom Senat zu berücksichtigen ist (vgl. Musielak/Ball ZPO 8. Aufl. ZPO § 559 Rn. 10).
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3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, wobei der Senat gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache abschließend entscheiden kann.
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Neben der Beschwerdeentscheidung ist somit auch der amtsgerichtliche Beschluss aufzuheben, und zwar auf die Beschwerden des Betroffenen und des Beteiligten zu 1. Soweit das Landgericht lediglich die Beschwerde des Beteiligten zu 1 beschieden hat, hat es verkannt, dass dieser – jedenfalls auch – im Namen des Betroffenen Beschwerde eingelegt hat.